Nach der Fusion zweier Hochschulen und einer Berufsakademie aus Berlin sollte für die verschiedenen Fachbereiche ein einheitliches Campus Management System aufgesetzt werden. Dessen Implementierung mit der Anbindung verschiedener Drittsysteme und der Migration der Altdaten im laufenden Hochschulbetrieb wurde nun abgeschlossen. Die Hochschule macht damit einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung. Ein Beitrag der IT-Fachjournalistin Nadja Müller.
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) zählt rund 12.000 Studierende, 230 Professor*innen, 810 Lehrbeauftragte und Dozierende sowie 350 Verwaltungsmitarbeitende. Mit mehr als 55 Studiengängen gehört sie somit zu den großen Hochschulen Berlins. In ihr fusionierten 2009 zwei Hochschulen und eine Berufsakademie, entsprechend bedient sie ein breites Spektrum mit Betriebs- und Volkswirtschaft sowie Verwaltungs-, Ingenieur- und Rechtswissenschaften und dualen Studiengängen. Nun sollten die drei unterschiedlichen Campus Management Systeme (CaMS) in ein einheitliches System zusammengeführt werden. Die HWR suchte in einem EU-weiten Vergabeverfahren nach der passenden Lösung: Anforderungen waren unter anderem, für alle Studiengänge ein Online-Bewerbungsportal einzuführen, die Bewerbungsverfahren für grundständige Studiengänge an das zentrale Verfahren Hochschulstart.de anzubinden und die verschiedenen Studien- und Prüfungsordnungen mit den unterschiedlichen Regelungen abzubilden.
Der Spezialist für die Digitalisierung von Hochschulprozessen, die Simovative GmbH aus München, erhielt den Zuschlag. Ihr CaMS acadamyFIVE sollte die bisherigen Systeme der Hochschule sukzessive ablösen. „Das wirtschaftlichste Angebot, die vorgestellte Funktionalität und auch das agile Vorgehen des Anbieters haben uns überzeugt“, berichtet Anke Kamrath, Leiterin Team Anwendungsunterstützung der Abteilung IT HWR und operative Projektleitung. Im April 2020 begann die Zusammenarbeit, im September 2024 fand die offizielle Abnahme des CaMS statt.
Das Campus Management System
Als unverzichtbarer Teil der Hochschul-IT verwaltet ein CaMS alle relevanten Daten rund um den gesamten Studentenlebenszyklus mit Bewerbungs- und Zulassungsverfahren, Lehrveranstaltungsteilnahmen, Studierendenstatus und Prüfungsverfahren bis hin zur Zeugniserstellung. Die Implementierung eines solchen Systems kann ohne Weiteres mehrere Jahre in Anspruch nehmen, da sie tief in die technischen, organisatorischen und auch kulturellen Strukturen einer Hochschule eingreift. Es handelt sich also nicht nur um ein reines IT-Projekt, was die Aufgabe umso komplexer macht.
Ein neues CaMS bedeutet stets ein verändertes Arbeitsumfeld für die Hochschulmitarbeitenden – entsprechend müssen diese geschult und mitgenommen werden. Währenddessen muss der Hochschulbetrieb möglichst reibungslos weiterlaufen.
Die Ausgangssituation
Die Fusion der Hochschulen erfolgte als Teil einer Berliner Bildungsreform. Die drei unterschiedlichen bisherigen CaMS sollten in ein neues überführt werden. Eine Herausforderung bestand darin, dass die Studiengänge der Hochschulen zum Teil sehr unterschiedlich organisiert waren, was sich auch auf die Verwaltung auswirkte. Bisher analoge Prozesse sollten im Zuge der Einführung des neuen CaMS digitalisiert bzw. bereits digitale Prozesse hochschulweit eingeführt werden. Dem Einführungsprojekt sollte ein agiler Ansatz zugrunde liegen – die Anforderungen wurden im User Story Format in Scrum gestellt. Entsprechend überzeugte das System von Simovative.
Implementierung und Integration
Das Projektmanagement der Einführung folgte einem hybriden Ansatz, wobei ein Teil gemäß der Wasserfallmethode aufgebaut wurde, ein anderer nach agilem Ansatz erfolgte, der insbesondere bei der Umsetzung der Entwicklungsleistungen zum Tragen kam. Mit diesem zweistufigen Ansatz setzte Simovative das Gesamtkonzept mit Schnittstellen, Drittsystemen und Datenmigration um.
Einen großen Block stellten die Harmonisierung und Standardisierung der unterschiedlichen Prozesse in den Fachbereichen und beteiligten Einrichtungen dar.
„Gemeinsam mit den beteiligten Einrichtungen und Simovative haben wir eruiert, wie die Software die Prozesse abbilden kann und wo Funktionalitäten fehlen“, so sagt Anke Kamrath.
Letztere wurden von Simovative entwickelt. Eine besondere Herausforderung war dabei, dass nicht mit den ersten Schritten des Student Life Cycles – Zulassung und Bewerbung – begonnen werden musste, sondern mit dem Prüfungs- und Lehrveranstaltungsmanagement.
Implementiert wurde agil nach Scrum: Die Entwicklungen wurden in Sprints und User Storys umgesetzt. Anschließend wurde ein Feedback eingeholt. Mit dieser Methode wurden in drei Jahren rund 1700 User Storys für die HWR umgesetzt. Sobald ein Entwicklungspaket fertig war, stand es zur Einführung zur Verfügung. Agile Phasen mit Iterationen erlaubten dabei kurze Releasezyklen, um auf Änderungen und Anforderungen reagieren zu können.
Regelmäßig traf sich im Projektzeitraum ein Lenkungskreis auf Präsidiums-Ebene: Die enge Abstimmung war notwendig, denn Rückmeldungen müssen zeitnah erfolgen und die Kommunikation direkt sein.
„Ein solches Projekt steht und fällt mit den Menschen“, schildert Torsten Fürbringer, Gründer und CEO der Simovative GmbH. „Entsprechend wichtig ist es, an einem Strang zu ziehen.“
Die Herausforderungen
Eine der größten Herausforderungen stellte die Datenmigration und die Bereitstellung der Daten aus drei unterschiedlichen Altsystemen dar – die Daten lagen teilweise nicht vollständig oder unterschiedlicher Form und Qualität vor. Eine weitere große Herausforderung war die gleichzeitige Einführung eines neuen Planungstools für Lehrveranstaltungen und Prüfungen sowie die Entwicklung einer direkten bidirektionalen Schnittstelle zwischen den beiden Systemen. Die mit der Einführung einer neuen Software einhergehenden Prozessveränderungen waren zunächst ebenfalls schwierig zu bewältigen.
„Herausfordernd war die Passgenauigkeit der Software für unsere Prozesse“, berichtet HWR-Projektleiterin Anke Kamrath.
Auch die Massenverarbeitung von Daten – notwendig angesichts von rund 12.000 Studierenden – stellte eine Hürde dar.
Durch die agile Vorgehensweise erfolgte die Einführung neuer Funktionalitäten sukzessive und in einigen Fällen nach dem eigentlichen Go Live, was zum Teil ein wiederholtes Lernen der Mitarbeitenden bedingte. Daher war die vertiefte und umfassende Qualifikation des Projektteams der HWR von großer Bedeutung. Dies war nicht nur erforderlich für die sachgerechte Erstellung von User Stories, sondern auch für die regelmäßigen Schulungen, die durch das Projektteam erfolgten. Mittlerweile übernimmt die Hochschule den First Level Support und bei weitergehenden Fragen unterstützt das Simovative-Supportteam über ein Ticketsystem.
Die Effekte
Die Software ist nun in allen Bereichen im Einsatz und deckt die wesentlichen Verwaltungsprozesse ab. Der Student Life Cycle mit Bewerbungsmanagement, Zulassung und Immatrikulation, Studierendenverwaltung, Gebührenverwaltung, Lehrveranstaltungsverwaltung sowie Prüfungsverwaltung mit Abschlussprüfungen erfolgt über das neue System. „Die damit einhergehende Harmonisierung und Standardisierung der Prozesse über alle Fachbereiche hinweg war ein wichtiger Schritt für die HWR“, fasst Anke Kamrath zusammen.
Die HWR verfügt nun über ein zentrales CaMS. Alle Verwaltungsprozesse laufen über ein einheitliches System, die Zusammenarbeit hat sich verbessert und der Digitalisierungsgrad wurde erhöht: Bewerbungen, die zuvor in unterschiedlichen Systemen verwaltet worden sind, können nun über ein einheitliches Online-Portal ausgefüllt und elektronisch eingereicht werden. Das Portal ist auch an das zentrale Zulassungssystem Hochschulstart.de angebunden. Erforderliche Unterlagen werden im Portal hochgeladen, Bewerbende können online den Bearbeitungsstatus einsehen. Die Vergabe der Studienplätze erfolgt in Haupt- und Nachrückverfahren nach definierbaren Quoten und Zulassungskriterien. Gleiches gilt für reglementierte Lehrveranstaltungsplätze, auch hier erfolgt die Vergabe nach hinterlegten Kriterien unter Berücksichtigung der von den Studierenden angegebenen Prioritäten. Das neue System erlaubt außerdem eine Adaptivität im Curriculum: die Wahl von Prüfungsformen durch Prüfende und Wahlmöglichkeiten von Lehrveranstaltungen für Studierende können nun digital abgebildet werden. Studierende können sich online zu Prüfungen anmelden und in den vorgesehenen Zeiträumen auch vom ersten auf den zweiten Prüfungstermin ummelden. Prüfende können nun übergreifend ihre Bewertungen online eingeben. Auch das Abgabemanagement ist nun digital, Studierende können ihre Abschlussarbeiten hochladen und die Kommunikation von Verwaltung, Prüfenden und Studierenden kann über das Portal erfolgen. Neu ist die digitale Verwaltung von Lehrbeauftragten, Lehraufträgen und -abrechnungen. Die Studierenden können nun ihr Studium in der Web-App organisieren: Von der Lehrveranstaltungswahl, über Prüfungen, Abgabetermine und Dokumentendownload können sie ihr Studium fast komplett digital verwalten. Darüber hinaus wurde eine Schnittstelle zu Moses, einer Lösung für eine Veranstaltungs- und Raumplanung, geschaffen. Insgesamt hat die HRW mit dem neuen CaMS eine große Hürde in Richtung datengetriebene Hochschule genommen.
Ausblick
„Ein Campus Management System ist nie abgeschlossen – allein bedingt durch rechtliche Änderungen und technische Weiterentwicklungen“, konstatiert Anke Kamrath. So wird das dialogorientierte Serviceverfahren (DoSV) für Bewerbungen und Platzvergabe als DoSV 2.0 neu aufgesetzt, was eine Anpassung der Schnittstelle erfordert. Kamrath: „Die Studierenden erwarten, dass die digitalen Funktionalitäten des Campus Management Systems dem bekannten Standard entsprechen.“ Weitere Folgeprojekte für Optimierungen sind bereits geplant, darunter der Ausbau der Krankenkassenschnittstelle, die Anpassung der Suchfunktion oder ein Facelift der Benutzeroberfläche.
Fazit
Das neue CaMS löst mehrere Altsysteme ab. Es ist die wesentliche Basis für die Vereinheitlichung und Standardisierung von Verwaltungsprozessen. Auch die Fachadministration hat sich hierdurch vereinfacht. Es wurden nicht nur Prozesse digitalisiert und Online-Funktionalitäten für Dozierende eingeführt, auch die Online-Services für die Studierenden wurden ausgeweitet, die ihr Studium nun fast vollständig digital organisieren können. Die HWR stellt sich so für eine digitale Zukunft auf.