Eine zunehmend aufwendigere Wartung, immer weniger Experten, die sie durchführen können, und erste Hersteller, die ganze Produktlinien einstellen – die Tage des Mainframe scheinen gezählt. Doch bisher gab es keinen kostengünstigen praktikablen Weg, diese Systeme abzulösen und an die Anforderungen der modernen Geschäftswelt anzupassen. Nun könnte Low-Code Abhilfe schaffen.

Nach wie vor machen Mainframes einen zentralen Teil der IT-Systeme in Unternehmen aus. Schließlich zeichnen sie sich durch eine erhebliche Leistungsfähigkeit und hohe Ausfallsicherheit aus: Auch bei vielen aktiven Anwendern sowie vielen parallel betriebenen Applikationen laufen sie äußerst stabil und eignen sich damit besonders gut für stark transaktionale Anwendungen.

Nicht zuletzt dank ihrer Sicherheit sind sie aus Branchen wie der Finanz-, der Versicherungs- oder der Logistikindustrie kaum wegzudenken. Laut eines Forrester-Reports hatten 2021 nach wie vor zwei Drittel der US-Unternehmen Mainframe-Systeme im Einsatz.

Verrentung und mangelnder Expertennachwuchs

So viele Vorteile der Mainframe-Betrieb hat, stellt er die Unternehmen doch immer häufiger vor ein Dilemma. Denn je länger eine Anwendung im Einsatz ist, desto komplexer sind ihre Verknüpfungen im System – kleinste Veränderungen oder unvermeidliche Anpassungen können dann unter Umständen umfangreiche Konsequenzen nach sich ziehen. Umso bedeutender sind deshalb Experten mit dem nötigen Fachwissen, die diese Änderungen und Wartungen effektiv vornehmen und steigenden operativen Risiken und Kosten vorbeugen können.

Allerdings nähert sich ein immer größerer Teil der Mainframe-Experten dem Rentenalter. Damit verschwindet nach und nach auch das technische und Business-Know-how über die auf den Mainframes vorhandenen Anwendungen. Bereits 2018 berichteten Unternehmen im Forrester-Report „Modern Mainframe KPIs Are Key To A Successful Digital Strategy“ davon, in den vergangenen fünf Jahren 23 Prozent ihrer Mainframe-Ressourcen verloren zu haben, während gleichzeitig 63 Prozent dieser verlorenen Arbeitskraft nicht ersetzt werden konnten. Die Unternehmenssysteme drohen zu verwaisen.

Eine Entlastung für diesen Nachwuchsmangel ist nicht in Sicht. So findet sich beispielsweise die Programmiersprache COBOL nur auf wenigen Stundenplänen von Universitäten, darunter etwa der Universität Leipzig. Die eklatante Lücke zwischen Bedarf und Nachfrage wird sich damit kaum schließen lassen, zumal Spezialisten in Zeiten des Fachkräftemangels nahezu freie Jobwahl haben – und sich im Zweifelsfall nicht selten für die großen, finanzkräftigen IT-Konzerne entscheiden.

Hinzu kommt das teilweise „altbackene“ Image der Technologie: Die mangelnde Innovationsfähigkeit der Mainframes wirkt im Vergleich zu virtuellen Umgebungen oder Cloud-Ansätzen nicht selten unattraktiv für junge Entwickler. Für sie können die veralteten Systeme mit den Anforderungen der heutigen Geschäftswelt an Agilität, Effizienz und Geschwindigkeit nicht mehr Schritt halten.

Die Zukunft heißt Low-Code

Der Schlüssel, um diesem Dilemma zu entkommen und für die Zukunft vorzusorgen, wären daher umfassende Modernisierungen. Getreu dem Motto „Never change a running system“ schreckten Unternehmen bisher jedoch davor zurück, da sie den Aufwand sowie die damit verbundenen Kosten scheuten. Zurecht – gab es doch keine günstige und einfach umzusetzende Lösung.

In diesem Kontext könnte nun Low-Code Abhilfe schaffen. Der dahinterstehende Ansatz mag nicht neu sein – an der Vereinfachung von Softwareentwicklung wird schon seit den 1990ern mit verschiedenen Ansätzen gearbeitet. Erst jetzt wurde dabei jedoch ein Niveau erreicht, dass sich die Technologie sogar für einen so businesskritischen Kontext wie die Ablösung von Mainframes eignet.

Low-Code ermöglicht es Anwendern, Applikationen auf Basis der sogenannten „visuellen Modellierung“ zu entwickeln. Die einzelnen Benutzeroberflächen einer Anwendung lassen sich visuell zusammenstellen, indem erforderliche Bedienelemente wie Listen, Menüs oder Checkboxen per Drag-and-Drop an ihre jeweilige Position gezogen werden. Die dahinterstehende Funktionalität wird ebenfalls auf diese Weise realisiert: Funktionen wie Berechnungen, Wenn-Dann-Abläufe oder Schleifen werden an ihrer jeweiligen Stelle im Programmablauf grafisch durch Symbole repräsentiert. Diese Art der Softwareentwicklung ermöglicht unter anderem eine effiziente Neuentwicklung und Ablösung alter Funktionsabläufe – und das im Vergleich zu klassischer manueller Entwicklung zu deutlich geringeren Zeit- und Kostenaufwänden.

Im Mainframe-Kontext können so beispielsweise moderne Anwendungen – Backends und Frontends – auf schnelle und einfache Weise realisiert werden, in die sich Mainframe-Prozesse und -Daten flexibel integrieren lassen. So können anschließend die Altsysteme so lange wie nötig weiterbetrieben werden, während gleichzeitig individuelle, benutzerfreundliche Lösungen im Tagesgeschäft zum Einsatz kommen. Diese wiederum können auch in Zukunft ohne tiefgreifendes Mainframe-Expertenwissen gewartet und weiterentwickelt werden – sodass die Zukunftsfähigkeit der Anwendungen sichergestellt ist. In der gewonnenen Zeit schließlich können die Legacy-Systeme dann nach und nach abgelöst werden.

Mit Mainframe in die Zukunft

Wie eine solche Modernisierung in der Praxis funktionieren kann, zeigt unter anderem das Beispiel Green Cargo. Das schwedische Eisenbahnunternehmen nutzte lange Zeit ein Mainframe-basiertes Logistiksystem, das es zusammen mit einer Legacy-ERP-Anwendung ablösen wollte, jedoch die dafür anfallenden hohen Kosten scheute. Mithilfe von Low-Code wurde daher alternativ eine skalierbare Microservice-basierte Architektur entwickelt, die sich mit den bestehenden Systemen integriert und diese durch neue Funktionen modernisiert. So wurden beispielsweise mobile Apps entwickelt für Mitarbeiter im Betriebshof, IoT- und KI-basierte Apps für Predictive Maintenance sowie ein Kundenportal für Vertrieb und Service.

Beispiele wie diese machen deutlich: Auch wenn die Tage des Mainframe gezählt sind, müssen Unternehmen nicht tatenlos zusehen, wie ihre Systeme veralten und verwaisen. Moderne Technologien wie Low-Code können einen Mittelweg bieten zwischen dem Festhalten am Status Quo und der vollständigen, kostspieligen Ablösung der alten Systeme. Durch die einfache Neu-Entwicklung vorhandener Mainframe-Anwendungen werden diese in die moderne Geschäftswelt übertragen, während gleichzeitig bestehende Daten weitergenutzt werden können – in neuen, zukunftsorientierten Applikationen und Interfaces, für die das benötigte Know-how, wenn schon nicht im Überfluss, so doch trotz des demographischen Wandels durchaus vorhanden ist.

Tino Fliege ist Solution Architect bei OutSystems.

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