Vergangenes Jahr wurde das EU-Lieferkettengesetz beschlossen. Seitens der Wirtschaft gab es mit Blick auf die darin formulierten Vorgaben, die für Unternehmen weitere Bürokratie bedeuten, Kritik.
Nun will die EU-Kommission das Inkrafttreten um ein weiteres Jahr verschieben. Der neue Vorschlag sieht eine Anwendung erst ab Juni 2028 vor. Zudem sollen bis dahin die Auflagen für Unternehmen abgeschwächt werden. Auch innerhalb der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) wurden die gesetzlichen Anforderungen und die Realisierbarkeit intensiv diskutiert. Die geplanten Änderungen sind aus Sicht der DSAG zu begrüßen. Thomas Henzler, DSAG-Fachvorstand Vertrieb, Produktion & Logistik, ordnet ein.
Mit dem europäischen Lieferkettengesetz sollen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten in die Pflicht genommen werden, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund ist das Gesetz elementar. Andererseits dürfen Unternehmen durch die Vorgaben nicht noch weiter in Bürokratie versinken. Schließlich müssen sie mit dem nationalen Lieferkettengesetz in Deutschland bereits hohe Anforderungen erfüllen. Besonders im globalen Wettbewerb kann das schnell zu Nachteilen führen. Zumal: Auch wenn das Gesetz auf den ersten Blick größere Unternehmen adressiert, so können bislang auch kleinere und mittlere Betriebe davon betroffen sein. Sobald diese Firmen Teil der Wertschöpfungskette eines Unternehmens sind, das den Rechtsvorschriften unterliegt, müssen auch sie Berichtspflichten erbringen.
Das Vorhaben der EU, die Berichtspflichten zu lockern, die Sorgfaltspflichten auf direkte Zulieferer zu begrenzen und die Umsetzung zu verschieben, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ob der Vorschlag so kommt – schließlich muss er noch durch das Europaparlament – und in der Praxis insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen entlasten wird, muss sich zeigen. Entscheidend wird außerdem sein, Daten bei ihrer Erhebung zu harmonisieren, um Doppelberichte zu vermeiden.
Unternehmen stark gefordert: von S/4HANA-Umstellung bis Digitalisierung der Lieferketten
So oder so ist eine Verschiebung und Abschwächung des EU-Gesetzes nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn hohe Berichts- und Dokumentationspflichten bleiben weiterhin für Unternehmen bestehen. Dazu kommen zahlreiche bestehende Herausforderungen für Unternehmen: Stichwort digitale und eng verzahnte Lieferketten. Hier gibt es Nachholbedarf. Um Informationen effizient über Unternehmensgrenzen austauschen zu können, ohne dabei im Verwaltungsaufwand zu versinken, sind vernetzte Lieferketten entscheidend. Zumal eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Lieferanten und Kunden perspektivisch immer wichtiger wird. Für die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes (LkSG) stellt SAP beispielswiese ihre Procurement-Lösung Ariba mit zusätzlichen Funktionen bereit. Mit dem Modul Ariba Risk Management gibt es eine Lösung, mit deren Hilfe Unternehmen strukturiert auf Basis der gesetzlichen Vorgaben entsprechende Audits digital abbilden können. Allerdings sind viele Anwender schlichtweg noch mit ihrer S/4HANA-Umstellung beschäftigt, die ebenfalls Ressourcen bindet.
Damit sehen sich Unternehmen mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert – hinzu kommen teils angespannte Auftragslagen und somit reduzierte Budgets sowie der Fachkräftemangel. Das macht es zu einer Mammutaufgabe, on top neue gesetzliche Vorgaben umzusetzen, die weiteren bürokratischen Aufwand bedeuten. Deshalb ist die Politik gefordert, mit Augenmaß zu agieren und die Realitäten der Unternehmen stärker im Blick zu haben – ohne dabei das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren.
