Drei Dinge gilt es gleich zu Beginn festzuhalten: Der Handlungsdruck zur Modernisierung ist groß, ein Systemwechsel steht außer Frage und einen Königsweg gibt es nicht. Das stahlverarbeitende Unternehmen in dem hier gezeigten Beispiel mit mehreren internationalen Standorten setzt ein ERP-System – auf Basis eines IBMi-Systems – seit den 80er-Jahren zufriedenstellend ein. Notwendige Weiterentwicklungen und Modernisierungen erfolgen in Eigenregie durch die IT-Abteilung.

Die Herausforderungen der Digitalisierung und der damit einhergehende und kontinuierlich steigende Anpassungsdruck führen dazu, dass notwendige Modernisierungen und Weiterentwicklungen mangels personeller Ressourcen nicht mehr im benötigten Umfang geleistet werden können. Die Probleme liegen auf der Hand:

  • Relevante Geschäftsprozesse werden nicht mehr abgebildet.
  • Der Anpassungsdruck übersteigt die personellen Kapazitäten der IT-Abteilung, lange Entwicklungszeiten bei der Umsetzung neuer Anforderungen.
  • Eine reibungslose Unterstützung des Tagesgeschäfts ist nur bedingt gewährleistet.
  • Konfigurationen sind nur eingeschränkt möglich.
  • Da es im konkreten Fall kein Testsystem gibt, erfolgen Softwareänderungen immer direkt im Live-System und sind damit ein Risikofaktor.

Um zukunftsfähig zu bleiben, steht das Unternehmen vor der Entscheidung, die bestehende ERP-Software zu modernisieren oder ein neues ERP-System einzuführen.

ERP-Modernisierung ja oder nein

Der Entschluss zur Modernisierung wird mithilfe externer Unterstützungsleistung und durch eine Analyse der o. g. Punkte untermauert. Dazu werden relevante Stakeholder zum Status quo der Prozessunterstützung, zu funktionalen und nicht-funktionalen Anforderungen sowie Marktanforderungen befragt.

Auch die Erwartungen der Mitarbeiter an die künftige ERP-Lösung fließen ein. Ein Blick auf die Analyseergebnisse zeigt u. a., dass der Source-Code des ERP-Systems bis zu 25 Jahre alte Sourcen beinhaltet, welche nicht zu RPG/ILE migriert wurden und somit in allen Sprachfacetten von RPG vorliegen (Zyklus, RPG 2 – RPG/ILE).

Ebenso erfolgt eine Auswertung der Zugriffe auf Datenbanken und Programmobjekte sowie eine Analyse der Lesbarkeit und Dokumentation des Source-Codes. Die Analyseergebnisse bewertet der externe Dienstleister positiv. Am Ende der Untersuchung kommt das Unternehmen zu dem Entschluss:

  • Eine Modernisierung des bestehenden ERP-Systems ist zwingend notwendig, um die Herausforderungen der Digitalisierung meistern zu können.
  • Eine komplette Neueinführung kommt nicht in Betracht – der zeitliche Aufwand und das finanzielle Risiko werden als zu groß eingeschätzt.
  • Ein zur Modernisierungsstrategie passender Dienstleister steht dem Unternehmen bereits zur Seite.
  • Die neuen Funktionalitäten können auf die Anforderungen angepasst und in angemessener Zeit bereitgestellt werden.

Das Projektvorgehen von klassisch zu hybrid

Um eine hohe Planungssicherheit zu gewährleisten, wird die Modernisierung nach der Wasserfall-Methode in zwei Schritten geplant. Im ersten Schritt soll der Source-Code technisch durch Tools in modernen RPG/ILE Code umgesetzt werden. Auf dieser Basis soll dann im zweiten Schritt die fachliche Weiterentwicklung der Prozesse aufsetzen.

Ziel ist es, die Fachabteilungen und deren vielfältige Anforderungen – vom einheitlichen Dokumentenlayout, Internationalisierung und Mehrsprachigkeit über die Möglichkeit interner Bedarfsanforderung bis hin zu neuen Feldern im Artikelstamm – bestmöglich zu unterstützen. Ein Update-Release der neuen Funktionen und Anpassungen soll halbjährig in den Livebetrieb überstellt werden.

Allerdings erweist sich das initial gewählte Projektvorgehen als nicht praktikabel und wird nach ca. sechs Monaten gestoppt. Die avisierte Source-Code-Modernisierung ist nur bedingt automatisierbar und die erzielten Ergebnisse entsprechen nicht den Qualitätsanforderungen, was teilweise auch dem mangelnden Technologie- und Erfahrungswissen der Projektbeteiligten sowie einer offenbar unzureichenden Codeanalyse im Vorfeld zuzuschreiben ist. Für eine stabile Projektarbeit und einen sicheren Projekterfolg setzt das Unternehmen fortan auf die umfassende Erfahrung des Autors als Projektleiter im hier beschriebenen ERP-Modernisierungsprojekt.

Die Projektvorgehensweise wird von klassisch auf hybrid umgestellt und eine systematische Bewertung der Prozesse und relevanten Programme hinsichtlich Anpassung oder Neuentwicklung erfolgt unter Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit. In kurzen Entwicklungszyklen werden einzelne auslieferungsfähige Inkremente generiert, getestet und ausgerollt.

Ein Parallelbetrieb des neuen Inkrements zum Echtbetrieb des Vorgängerinkrements sichert die fehlerfreie Funktion der neuen Programme und Module ab. Neue Funktionen innerhalb des ERP-Systems werden unternehmensweit bereitgestellt und sorgen für stabile Geschäftsprozesse, ohne die 24/7 laufendende Produktion zu unterbrechen. Auch die IT-Abteilung profitiert umgehend und administrative Tätigkeiten werden schneller und agiler erledigt.

Dank ERP-Modernisierung fit für die digitale Zukunft

Fakt ist, ohne Modernisierung des ERP-Systems wäre das Unternehmen nicht fit für die digitale Zukunft. Fakt ist auch, dass die ERP-Modernisierung keine reine IT-technische Code-Konvertierung ist. Ebenso wenig ist es kein reines „Facelift“ im Sinne einer neuen grafischen Oberfläche, welche die gleichen „alten“ 5250-Dialoge in einer modernen Weboberfläche darstellt. Beides würde langfristig nicht erfolgreich sein. Vielmehr liegt der Erfolg der ERP-Modernisierung darin begründet, dass Prozesse und Prozessverbesserungen im Fokus des Projektvorgehens stehen.

Dabei verbessern u. a. neue Funktionen in einer modernen grafischen Oberfläche die Arbeits- und Organisationsabläufe im gesamten Unternehmen und führen schnell zur Zufriedenheit bei den Anwenderinnen und Anwendern. Die IT-Abteilung atmet auf, da ein reibungslos funktionierendes Tagesgeschäft wieder die Regel, statt die Ausnahme ist und kurze Entwicklungszeiten am ERP-System ein schnelles Reagieren auf neue Anforderungen möglich machen.

Was Sie vor Projektbeginn tun können, um derartige Probleme zu umgehen:

  • Ordnen Sie Ihr Projekt in einen strategischen Kontext ein: Ein derartiges Projektvorhaben involviert das gesamte Unternehmen und macht die Unterstützung der Unternehmensleitung unverzichtbar. Legen Sie fest, wie Ihnen das Projekt bei der Umsetzung der Unternehmens- und der darunterliegenden IT-Strategie helfen soll.
  • Benennen Sie Ziele und Nicht-Ziele Ihres Projekts: Die Definition von Projektzielen sorgt für eine klare Richtung, ein einheitliches Verständnis und schützt vor dem Scheitern des Projekts. Nicht-Ziele bringen Klarheit und Transparenz und helfen das Projekt abzugrenzen.
  • Stellen Sie die geeigneten Personalressourcen bereit: Projekte dieser Größenordnung funktionieren nicht neben dem Tagesgeschäft. Projektverantwortliche und Key User sind oft auch Schlüsselpersonen in Unternehmen. Frühzeitiges Planen und das Schaffen ggf. zusätzlicher Kapazitäten sind essenziell.
  • Machen Sie sich mit der eingesetzten Technologie vertraut: Schauen Sie sich das IBM i-Umfeld, die Technologie und die Nutzungsmöglichkeiten genau an. Welchen Weg gibt die IBM mit der Entwicklungs-Roadmap vor? Wie soll das System (Hardware) im Unternehmen platziert werden?
  • Finden Sie passende Systemhersteller und Implementierungspartner: Auf Herz und Nieren prüfen ist hier ein wertvoller Rat. Wichtige Kriterien sind die technische und fachliche Leistungsfähigkeit des Dienstleisters. Unternehmensform, Umsatzvolumen, Mitarbeiteranzahl, Branchenkenntnisse, Referenzen von vergleichbaren Projektvorhaben und Nachweise zur Qualifikation des eingesetzten Personals zeichnen ein belastbares Bild des potenziellen Partners.
  • ERP-Projekte sind keine reinen IT-Projekte: Die Herausforderungen in derartigen Projekten sind nicht nur technischer Natur, sondern vielmehr muss das Unternehmen im Zuge von Organisationsentwicklungsmaßnahmen zur effektiven Nutzung eines solchen Systems befähigt werden.
Quelle: myconsult GmbH

Stefan Sattler ist Geschäftsbereichsleiter Mittelstand bei der myconsult GmbH und zudem Experte für Digitalisierungsvorhaben in mittelständischen Unternehmen. Er verfügt über langjährige Projekterfahrung rund um die Auswahl, Einführung und Betrieb von IT-Systemen. Quelle: myconsult

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