Als „Freeware“ bezeichnete Microsofts KI-Chef sämtliche Inhalte, die im Internet verfügbar sind. Und löste damit eine Diskussions- und Widerspruchwelle aus. Denn wem gehören denn all die Dinge, die für fast jeden im Internet tagtäglich zugänglich sind? Welche Gesetze und Regelungen, welche Rechte gelten überhaupt?
Darüber sprachen wir mit Herrn Thyen, Präsident des Verwaltungsrats der LizenzDirekt AG.
Herr Thyen, wir lernten uns kennen als Sie Microsofts KI-Chef Mustafa Suleyman kritisierten. Sinngemäß erklärte dieser alle Daten im Internet für vogelfrei und für seine KI-Crawler verwertbar. Können Sie nochmal kurz erläutern, was Ihnen damals sauer aufstieß?
Vorweggeschickt, kurz der Hinweis, es sind ja zum Teil politische Themen, in denen wir uns da bewegen. Diese möchte ich aus einer politischen Sicht gar nicht kommentieren und mich eher zurückhalten. Für mich geht es darum, für etwas zu sein. Das sind aus meiner Sicht liberale Marktkräfte, digitale Souveränität und freiheitliche Rechte, die wir in der EU haben. Die gilt es zu verteidigen und zu schützen – ohne irgendeine Art Bashing zu betreiben.
Ich empfand diese zum Ausdruck gebrachte Einstellung von Microsoft, einerseits rechtlich als extrem bedenklich, und andererseits leider auch typisch für das Marktagieren von US-Großkonzernen respektive von Monopolisten. Beides sehe ich persönlich als sehr kritisch an.
Um das Thema noch etwas stärker aufzunehmen: Er behauptet, dass die Nutzung sämtlicher Inhalte im Internet vogelfrei geschehen darf und dies auch durch einen sogenannten gesellschaftlichen Konsens, Fair Use, abgedeckt ist. Sich auf einen rechtlichen Graubereich zu berufen, der Jahrzehnte alt ist, das halte ich schon für sehr gewagt. Das ist vor allem mit dem hiesigen Recht so nicht zu vereinbaren.
Entscheidend ist, dass hier die Rechte Dritter und das geltende Urheberrecht, aus meiner Sicht, bis nahe zur Unerträglichkeit ignoriert wird. Das darf so nicht sein. Und dann darauf zu verweisen, der Betroffene möge ja gerne klagen, wenn er dagegen wäre gegen einen multinationalen Konzern, das sagt aus meiner Sicht recht vieles. Ich finde, das ist bei unklaren Rechtsverhältnissen und betroffenen Rechtsgütern eine Frage von Anstand und Respekt.
Sie predigen seit Jahren, dass europäische Unternehmen eine zu hohe Abhängigkeit von Konzernen wie Microsoft haben. Hier würden Ihnen sicher viele zustimmen. Doch was tun?
Sehr gute Frage. Mein Stichwort ist da immer diese Abo-Falle. Das klingt jetzt banal, aber das ist ein typisches Beispiel. Unsere Eltern haben uns immer davor gewarnt „Schließt bloß nicht zu viele Abos ab.“ Diese Geschichten kennen wir alle zu genüge und trotzdem wollen anscheinend viele auf dieses Thema hereinfallen.
Die Erkenntnis, dass wir in dieser Abhängigkeit sind, die ist aus meiner Sicht trivial. Das gilt für Behörden und auch für Unternehmen jeglicher Branchen und Größe. Es war, glaube ich, die KPMG AG oder eine andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die in einem Gutachten unterstrichen hat, dass die Abhängigkeit des Staates von eben diesen Monopolisten total ungesund ist. Eine Empfehlung dazu ist gar nicht so leicht. Ich finde man kann damit anfangen, die Situation nicht noch mehr zu verschlimmern. Das bedeutet, nicht noch mehr Cloud und Abo zu buchen, als man ohnehin schon hat. Und prüfen, wenn ich Abos eingegangen bin, brauche ich die unbedingt? Ist das wirklich eine technische Errungenschaft oder reden wir von einem cleveren Geschäftsmodell seitens Microsoft oder anderer?
Das man hier bereits vorsichtiger geworden ist, zeigt aus meiner Sicht, dass sich die EU mittlerweile mit dem Data Act und mit Fragen, wie zum Beispiel mit dem Wandel vom MS gebundenen Teams, beschäftigt. Und last but not least, auch Kauflizenzen – das sind die, die wir auch handeln, sowohl neu als auch gebraucht – haben und verschaffen eine deutlich geringere Abhängigkeit als eine Cloud. Das gilt für Vertragslaufzeiten, Preisanpassungen und Funktionen.
Wie sehen Sie denn den Software-Markt in Europa grundsätzlich? Gibt es für alles von über den Teich ein Pendant bei uns?
Es gibt viele, die sagen „Es geht ja gar nicht anders, wir können ja gar nicht anders“ und so weiter. Doch – das geht. Es ist immer eine Frage von Mut und ob ich mich aus meiner Komfortzone herausbewegen will.
Natürlich mag es hier und da Komfort-Einbußen geben, wenn ich mich mit Open Source-Lösungen auf Betriebssystem- oder Anwenderebene beschäftige. Auch der Einkaufsmarkt und die Auswahl sind ein bisschen schwerer. Aber ich kann nicht einfach das eine gutheißen und mich nicht damit beschäftigen wollen, ob es nicht andere Lösungen gibt. In den meisten Fällen gibt es Lösungen, die auch US-amerikanisch sind, aber ich muss nicht alles von einem einzigen Hersteller beziehen.
Ich habe nicht für alles eine Lösung auf diesem europäischen Kontinent gesehen, aber wenn wir wollen, dann können wir das Seil schon gemeinsam in die richtige Richtung ziehen.
Ein Sprecher von Microsoft hat nun sogar die EU für den Crowdstrike-Vorfall schuldig gesprochen. Wie argumentiert er?
Wenn man denkt solche Konzerne, Monopolisten haben sich schon alles erlaubt und es ist kaum noch zu überbieten, dann hat aus meiner Sicht MS den vorläufigen Höhepunkt erreicht, indem sie die Schuld an diesem weltweiten Shutdown der EU zugeschoben hat. MS musste im Jahr 2009 der EU zustimmen, dass Sicherheitsunternehmen wie CrowdStrike, die Sicherheitssoftware anbieten, im weitesten und engsten Sinne auch Zugang zu Betriebssystemen wie bei MS erhalten. Das wurde durchgesetzt.
Jetzt zu behaupten, hätte die EU solche kartellrechtlichen Fragen nicht durchgesetzt, hätte es das nicht gegeben, das macht mich sprachlos. Zumal es kaum noch einen Experten gibt, der sagt, dass dem so ist. Am Ende eines Tages waren es schlicht haarsträubende technische Programmierfehler.
Sie verkaufen mit LizenzDirekt gebrauchte Software. Wie kann man sich das vorstellen?
Zu Beginn hat man sich darunter irgendwelche alten Silberscheiben vorgestellt, mit denen man vielleicht noch den Computer der Großeltern aktivieren kann. So ist es natürlich nicht mehr, auch wenn wir zu Beginn des Marktes noch mit sogenannten Silberscheiben zu tun hatten.
Wir in Europa haben einen Eigentumsbegriff, der auch Eigentum an Software genehmigt. Und wenn ich dieses Eigentum habe, dann kann ich dieses Eigentum kaufen und verkaufen. Wenn ich das verkaufen kann, dann kann ich auch eine Software wieder verkaufen. Und so machen das eben auch Unternehmen und Behörden, die dann aus verschiedenen Gründen ihre Software – das sind Betriebssysteme, Serverlizenzen, aber auch normale Anwendersoftware wie Office – wieder verkaufen.
In den meisten Fällen sind das sehr große Unternehmen. Wenn diese durchstrukturieren, wenn die Open Source oder andere Lösungen haben und die Software nicht mehr benötigen, dann machen wir denen ein Angebot und kaufen diese Softwarelizenzen. Nachdem wir extrem intensiv alles geprüft haben – wir nutzen SAM-Experten, rechtliche Expertise und haben ein hoch performantes ERP-System – wird die Software eingelagert.
Oft fragt sich eine Behörde oder ein Unternehmen „Was soll ich mit der allerneuesten Softwarelizenz, die passt eh nicht im Zusammenspiel mit meinen ganzen Anwendungen, die ich hier habe, da gibt es Kompatibilitätsprobleme. Haben Sie auch das Office Programm 2019 oder 2021, also eine ältere Version?“ – und dann kauft der Kunde die ältere Software bei uns.
Dann gibt es wiederum einige Unternehmen, die sagen „Gebraucht ist kein Ding, aber haben sie die aktuellsten Lizenzen da?“ – Auch da sind wir in der Lage, durch unsere über 10 Jahre intensiven internationalen Geschäftsbeziehungen und weil wir uns auf größere Kunden fokussiert haben, gebrauchte, aktuelle Lizenzen anzubieten. Das ist unser Geschäftsmodell.
Klingt günstig und nachhaltig. Was können Sie in Sachen Kostenreduzierung und Nachhaltigkeit mit dem Modell erreichen?
Was die Kosten angeht, das sind Reduzierungen, die können schon mal 60–70 % und mehr gegenüber dem Neuanschaffungspreis dieser Software ausmachen. Es hängt immer ein bisschen davon ab, ob ich wirklich die allerneueste Software brauche und wie aktuell diese Software im Markt ist. Wir müssen es ja auch irgendwo kaufen. Wenn sie noch relativ selten anzukaufen ist, aber eine hohe Nachfrage besteht, dann sind die Preise auch entsprechend. Dennoch sind die Ersparnisse enorm. Und es gibt dabei keinerlei Verlust an Komforteinstellungen und Sicherheit, denn das wurde auch gesetzlich geregelt. Von daher ist es ein „Eins-zu-Eins-Produkt“, aber deutlich günstiger.
Was die Nachhaltigkeit angeht, steht diese überall ganz weit oben auf den Agenden der Chefetagen und bei jeder einzelnen Abteilung. Auch wenn man nicht glaubt, dass bei solchen virtuellen Gütern Nachhaltigkeit geschafft werden kann, weil sich das ein Stück weit weniger (an-)fassen lässt, ist Nachhaltigkeit doch mit Produkten, die einfach intensiver, häufiger, aber vor allem länger genutzt werden, erreichbar.
Einen deutlichen Nachhaltigkeitseffekt erzielen wir vor allem gegenüber Cloud-Produkten. In die Cloud wird z. B. vielmehr reingepackt, wodurch sich natürlich die Datenpakete aufblähen. Das muss alles in irgendeiner Art und Weise gekühlt, gesichert usw. werden. Das haben auch schon Professoren verschiedener Universitäten ausgerechnet und dargelegt. Also ist es eine prima Sache auch vor dem Hintergrund.
Zum Schluss der Blick in die Glaskugel: Wie geht’s weiter? Wird die Abhängigkeit steigen oder sehen Sie einen Stern auf dem europäischen Software-Horizont?
Es ist tatsächlich etwas, mit dem wir uns intensiv in Europa beschäftigen müssen. Wenn ich einmal kurz zurückgehe, ist eine grundsätzliche Frage, wie souverän wir uns in Europa aufstellen. Wir haben in den letzten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten gemerkt, wie es ist, wenn wir uns nicht souverän ernähren, Energie nicht souverän produzieren, beziehen und verteilen können. Wir haben immer wieder das Problem im Gesundheitswesen Medizin, medizinische Produkte, Tabletten, Medikamente, nicht produzieren und beschaffen zu können. Das heißt, wir haben bereits an vielen Stellen unsere Souveränität aus der Hand gegeben und machen das Gleiche jetzt seit vielen Jahren auch noch im Bereich der IT. Und wenn ich bedenke, dass die IT im Grunde genommen das Backbone, das neue Gold, von jedem Unternehmen ist – IT bedeutet auch Daten und Daten bedeuten für viele heute nichts anderes als Geld oder Gold, dann kann es in keiner Weise sein, dass man sich ernsthaft noch nicht mit diesem Thema beschäftigt und nicht Muffensausen bekommt.
Das ist nicht nur bei Behörden und Unternehmen so. Jeder von uns, der Kinder hat, weiß, dass Kinder zocken und sie mittlerweile auch an Schulen mit Geräten unterwegs sind. Man muss nicht alles verteufeln, aber ich muss wissen, wem gehören denn diese Companys, die genau diese Spiele oder Social Media vermarkten? Denselben, die auch die Software für die Schule bereitstellen?1 Und soll eine KI, die über bestimmte Cloud Programme vernetzt ist, jetzt auch noch auf meine lokalen Daten zugreifen? Ist das wirklich gewünscht? Auch wenn ich hier selbstverständlich auch Vorteile sehe, wenn es zum Beispiel um Terrorismus und Gewalttaten geht.
Wir müssen wahnsinnig aufpassen und gleichzeitig bin ich froh, dass die EU selbst Maßnahmen ergriffen hat, da aufzupassen, dass es nicht überhandnimmt. Der zuständige höchste Europäische Datenschutzaufsichtsrat hat festgestellt, dass die EU Kommission selbst verschiedene Softwarelizenzen und Technologien nutzt und damit gegen europäische Datenschutzbestimmungen verstößt. Das ist natürlich irre. Wir müssen es einfach immer und immer mehr bewusst machen: War da nicht noch was? Und muss das wirklich so sein? Oder können wir nicht vielleicht doch mal schauen, ob man das auch besser lösen kann?
Also, wenn ich in die Glaskugel schaue, es ist noch nicht aller Tage Abend und keine Tür zu geschlagen. Ich sehe, dass sich etwas bewegt, auch im IT-Umfeld. Vielleicht sollten wir uns häufig auch diese anderen Beispiele ein Stück weit vor Augen führen, die sind griffiger: Wenn das Gas um 30–40 % steigt, weil ausländische Monopolisten sagen „Das ist jetzt so“, dann tut das jedem weh, dann ist man dagegen und das darf nicht sein. Nur wenn IT-Monopolisten im Laufe eines Cloudvertrages mal so um 30–40 % die Preise erhöhen, dann wird nur ein bisschen rumrandaliert, aber das war es dann. Das würde uns wirtschaftlich umbringen. Aber ich bin guter Hoffnung und ich habe Hoffnung, große Hoffnung.