Alle reden über KI – auf einmal möchte jeder, dass ChatGPT Texte für ihn schreibt. Andere KI-Anwendungen generieren Bilder, analysieren Datenkolonnen oder automatisieren komplette Prozesse. Managerinnen und IT-Leiter zerbrechen sich die Köpfe, was Künstliche Intelligenz in Zukunft alles erledigen könnte. Es entsteht der Eindruck, als hätten wir in der Unternehmens-IT keine anderen Probleme, als überall jetzt schnell ein paar Bots oder schlaue Add-ons einzubauen.
Aber das stimmt ganz und gar nicht. Die bestehende Software-Landschaft deutscher Firmen ist stellenweise so marode wie das Schienennetz der Bahn – und hat wirklich überhaupt nichts mit der neuen schillernden KI-Welt gemein. Stattdessen haben aufgeschobene Updates, vernachlässigte Wartungen und fehlende Programmierstandards vielerorts dazu geführt, dass IT-Teams hauptsächlich damit beschäftigt sind, technische Probleme in bestehenden Applikationen zu lösen.
Die Altlasten binden nicht nur wertvolle Zeit von Entwicklerinnen und Entwicklern, sondern auch die User und Anwenderinnen leiden unter langsamen und ineffizienten Prozessen. An flüssiges Arbeiten ist teilweise gar nicht zu denken. Haben einzelne Komponenten ihr End-of-Life erreicht oder sind nach den vielen Updates und Anpassungen gar nicht mehr kompatibel, entstehen zudem Sicherheitslücken, die sich nicht mehr schließen lassen. Ist die Software dann letztlich so alt, dass der Anbieter den Support einstellt, kommt das einem Super-GAU gleich.
Der aufgeschobene Modernisierungsprozess hat also weitreichende Folgen für Unternehmen. Das Festhalten an Altsoftware verhindert zum einen Innovationen. Zum anderen wird häufig an der falschen Stelle gespart. Die Führungsebene ist oft der Ansicht, dass ein Refactoring der vorhandenen IT-Landschaft oder gar eine Ablösung zu teuer sind und dass es schon irgendwie gehen wird.
Doch diese Annahme ist trügerisch. In Wahrheit führen alte Anwendungen mit der Zeit zu einem technischen Schuldenberg – das bedeutet, das Beheben der ständigen Software-Probleme verschlingt eine Menge Geld. Die Mittel, die in Altlasten fließen, fehlen natürlich an anderer Stelle, etwa für KI-Projekte oder andere Lösungen für die neue Arbeitswelt.
Bevor Führungskräfte jetzt also die Integration von Künstlicher Intelligenz in Unternehmensanwendungen fordern, sollten sie ihre Hausaufgaben machen. Konkret bedeutet das: technische Schulden durch Modernisierung abbauen und so die Software benutzerfreundlich, effizient und sicher gestalten. Erst wenn die IT-Landschaft auf dem neuesten Stand ist, können technologische Innovationen überhaupt funktionieren.
Diesen Standpunkt sollten Anbieter aus der IT-Branche gegenüber ihren Kunden generell vertreten. Anstatt unter Druck schnelle Lösungen vorzuschlagen und Kompromisse einzugehen, sollten sie nachhaltigen, guten Code entwickeln, der mit entsprechender Wartung lange und zuverlässig läuft. Erst mit diesem stabilen Fundament macht es Sinn, über den Einsatz von KI zu diskutieren.
Denn selbst wenn viele die Integration von Algorithmen jetzt als Allheilmittel darstellen: Auch KI braucht strukturierte Codes, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Deswegen sollten Unternehmen einen Schritt nach dem anderen machen und erst ihre eigene IT-Landschaft modernisieren, bevor sie über eine KI-Integration nachdenken. Schließlich baut selbst die Deutsche Bahn keinen Wasserstoffantrieb in eine Dampflok.
Nadine Riederer ist CEO bei Avision.