Was vor einigen Jahren noch als reine Zukunftsmusik abgetan wurde, ist heute schon in einigen Unternehmen zur Realität geworden: der Einzug von IoT (Internet of Things) in den ERP-Systemen. Details dazu verdeutlicht Torsten Harnack, Industry Manager Process der COSMO CONSULT Group, im Interview mit dem Midrange Magazin (MM).
MM: Welche Innovations-Potenziale sehen Sie bei der IoT-Integration in ERP-Systeme?
Harnack: In einer digital vernetzten Welt können Menschen und Maschinen immer und von überall aus auf Daten zugreifen, ohne dabei auf bestimmte Geräte beschränkt zu sein. Ziele sind die Verbesserung der betrieblichen Effizienz, Kostensenkungen in der Produktion, schnellere Prozesse und die Realisierung neuer Geschäftsmodelle. Entscheidende Voraussetzung für die digitale Vernetzung sind offene und flexible IT-Ökosysteme – ein Industrial Internet of Things (IIoT).
MM: Welche Rolle spielt dann das ERP-System?
Harnack: Das ERP-System agiert in einer IIoT-Umgebung nicht monolithisch, sondern zeichnet sich durch eine geradezu einfach erreichte Vernetzung zu weiteren Systemen aus. Wir sprechen hier nicht mehr von proprietären Schnittstellen, sondern von einer offenen Kommunikation, die etwa Leistungsanalysen, Feinplanung oder Rückverfolgung mit in Echtzeit gesammelten Informationen erlaubt. Das bedeutet mehr Datenaustausch und das Ende von Informationen, die in Silos gespeichert sind, und diese Optimierung kann über die Unternehmensgrenzen hinausgehen. Unternehmen werden jederzeit wissen, wo sich Dinge befinden und wie es um sie steht. Mit einem IIoT gestützten ERP-System können Unternehmen den Herausforderungen wie selbstorganisierende Produktion oder flexible Serienproduktion (Serienfertigung mit Losgröße 1) begegnen.
MM: Wie lassen sich damit die Prozesse effizienter gestalten?
Harnack: Bekanntermaßen wird die Leistung einzelner Anlagen/Arbeitsstationen in der Produktion durch die Leistung anderer verbundener Anlagen, die Materialverfügbarkeit und andere Faktoren beeinflusst. So hat ein aktuelles Ereignis an der Arbeitsstation wie ein Störfall unmittelbar Auswirkung auf Termine und erfordert außerplanmäßige Maßnahmen. Um die Konsequenzen eines Störfalls zu begrenzen, gilt es, schnellstmöglich zu reagieren. Wenn also ein Störfall in Echtzeit im ERP-System registriert wird, kann man dort unmittelbar Prozesse anstoßen, um den Störfall zu bereinigen, die Auswirkungen zu begrenzen und über Terminänderungen zu informieren. Das Beispiel zeigt, wie digitale Vernetzung von Arbeitsstationen mit dem ERP unmittelbar zu Maßnahmen führt und übergreifend die Effizienz verbessert.
MM: Wie lässt sich die „Serienfertigung mit Losgröße 1“ damit umsetzen?
Harnack: Bei flexibler Serienproduktion verbindet sich die Flexibilität von individuell gefertigten Produkten mit den niedrigen Stückkosten der Massenproduktion. Neben spezifischen Produktmerkmalen verlangen Kunden zusätzliche Prüfschritte und deren Nachweise. Damit wird die Prozessabwicklung auftragsindividuell. So werden bei der Produktkonfiguration im ERP-System die auftragsindividuellen Anforderungen spezifiziert und lassen sich dank Vernetzung an der Arbeitsstation für die Steuerung nutzen. Additive Fertigung ermöglicht im hohen Masse kundenindividuelle Aufträge und entwickelt sich zunehmend in Richtung Serienfertigung bei Losgröße 1. Ist das Design erstellt oder die Konfiguration spezifiziert, wandern die Daten an die 3D-Drucker. Somit sind solche Fertigungen ideal für IIoT Szenarien.
MM: Wie muss die Organisation – inkl. der Zulieferer – an die neuartigen Möglichkeiten angepasst werden?
Harnack: Die Herausforderungen in der Wertschöpfungskette durch die zunehmende Vernetzung sind nicht nur finanzieller Art. Übergreifende Kommunikation und Interoperabilität erfordern etablierte Standards und dies insbesondere bei den Lieferanten von Technologie. Standardisierung bedeutet, dass eine Anpassung an individuelle Bedürfnisse des Anwenders nicht vorgesehen ist. Der Anwender muss entscheiden, ob die angebotenen Standardfunktionalitäten und Standardqualitäten seinen Ansprüchen genügen. Reichen sie nicht aus, muss er seine Geschäftsprozesse an den Standard anpassen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, bergen IoT-Lösungen erhebliches Einsparungspotenzial. Es gibt bei den IoT-Lösungen mehrere Alternativen wie Microsoft Azure IoT, Adamos und manch andere Plattform. Übergreifend vernetzte Kommunikation ist unweigerlich mit Kommunikation über die Cloud verbunden. Die Wertschöpfungsketten von Dienstleistern verändern sich und aus bisher linearen werden zunehmend globale, komplexe und dynamische Wertschöpfungsketten.
MM: Welche Auswirkungen zieht das nach sich?
Harnack: Damit steigen die Anforderungen an die Beherrschbarkeit und Orchestrierbarkeit unterschiedlichster Applikationen und Infrastrukturkomponenten. Aus technischer Sicht wird die Integration durch Web-Standards einfacher, hingegen steigt die Komplexität hinsichtlich Prozessintegration und Service Management. Der Einsatz von IoT ist demnach an organisatorische Voraussetzungen im Unternehmen geknüpft. Auf einige Fragen und Herausforderungen müssen überzeugende Antworten gefunden werden. Das betrifft in erster Linie die rechtliche Situation, die Sicherheit und den Datenschutz, aber auch die Integrationsfähigkeit mit den vorhandenen IT-Systemen sowie Fragen von Verfügbarkeit, Performanz und der ganzheitlichen reibungsfreien Unterstützung der Geschäftsprozesse.
MM: Was bringt der IoT-Einsatz für die dezentrale Produktion?
Harnack: Digitale Vernetzung ermöglicht mehr verteilte Informationen, sodass Entscheidungen in der Produktion dezentraler getroffen werden können. Im Gegenzug führen Smart Services zu zentralen Plattformen. Die IIoT-Geräte liefern in solchen Szenarien Messdaten und bekommen Anweisungen etwa über ein IoT Hub zurück. Voraussetzung für viele derartige IIoT-Szenarien ist die Kommunikation in Echtzeit. Hohe Performanz der Systeme und der Infrastruktur sind daher essenziell. Allerdings trifft dies vor allem für Steuerungssysteme zu und weniger für ERP-Systeme.
MM: Wie ändert sich durch einen IoT-Einsatz die Rolle des ERP-Systems?
Harnack: ERP-Systeme können unmittelbar mit den IIoT-Geräten kommunizieren. Der Umweg über Hierarchien von SPS, Scada, Steuerung und Leitsystem kann eingespart werden. ERP-Systeme könnten in einzelnen Szenarien wie bei Wiegeprozessen unmittelbar die eingewogene Menge abfragen, Bestände korrigieren und Kosten ohne Zeit- oder Informationsverlust verbuchen.
MM: Wie kommen die Verantwortlichen an die durch IoT zusätzlich generierten Daten?
Harnack: Bei einer externen Datenhaltung vermindern leistungsfähige Authentifizierungen und Verschlüsselungstechniken die Risiken unerlaubter Zugriffe wirkungsvoll. Die Tatsache, dass der physische Zugriff auf die Datenbestände nicht komplett unter eigener Kontrolle steht, führt bei IT-Entscheidern nicht selten zu Unbehagen. Ihre Bedenken lassen sich durch Transparenz, SLAs, technische Lösungen und persönliche Ansprechpartner auf Anbieterseite reduzieren. IoT-Plattform wie Adamos agieren wie Data Broker und ermöglichen konfigurationsbasierte Weiterleitung und Subskription von Daten zwischen zwei oder mehr Mandanten. Je nach Kritikalität der Daten kann der Anwender selektiv entscheiden, welche Daten weitergeleitet werden sollen. Ein Szenario, welches gerade beim Datenaustausch zwischen Maschinenhersteller und Maschinenbetreiber günstig ist.
MM: Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Harnack: Die Sendungsverfolgung sorgt beispielsweise für mehr Transparenz über die Leistungserstellung und es ergeben sich bessere Möglichkeiten, Transporte zu bündeln und damit höhere Transportauslastungen zu realisieren. Konnektivität und mit IIoT aufkommende neue Technologien sorgen für komplexe Systeme und Umgebungen. Das mit IIoT-Systemen aufkommende Risiko besteht darin, dass innerhalb der gesamten Anlage neue Möglichkeiten für Cyberangriffe entstehen. Um dem zu begegnen, sind Sicherheitsaspekte so früh und umfassend wie möglich zu berücksichtigen. (rhh)