Die Verantwortlichen vieler Enterprise Rechenzentren haben sich zum Ziel gesetzt, so bald wie möglich auf 400G-Infrastrukturen umzustellen. Große Hyperscaler wechseln bereits auf „800GbE“ – ein Trend, der schneller als sonst auch große und mittlere Rechenzentren erreichen wird. Auf die Anwender kommt eine Fülle an Standards und Stecker-Varianten zu.
Auf der OFC 2022 (Optical Fiber Communication Conference and Exhibition) in San Diego stand zwar 400-Gigabit-Ethernet (GbE) im Fokus, aber 800GbE ist bereits auf dem Sprung, was nicht nur die IEEE-Session „Beyond 400G“ belegte. Aussteller wie Accelink, Eoptolink, Infinera, InnoLight Technology, Linktel, Marvell, Source Photonics und Surinno Photonics kamen mit 800GbE-Transceivern nach Kalifornien, unter anderem MultiLane, Keysight Technologies, Spirent Communications und Viavi Solutions haben entsprechendes Test-Equipment präsentiert.
Quelle: Rosenberger OSIDas ist insofern bemerkenswert, da sich 400GbE erst im Jahr 2019 kommerziell auf breiter Front durchgesetzt hatte. Doch die Nachfrage nach Bandbreite steigt immer schneller. Bis 2019 rechneten die Netzwerkbetreiber mit einer jährlichen Wachstumsrate des Netzwerkverkehrs von 25 Prozent. Dann kam Corona – mit Home-Office, Videokonferenzen statt Geschäftsreisen und Streaming-TV statt Kino-Besuchen. So stieg der weltweite Datenverkehr innerhalb von 12 Monaten sogar um 35 Prozent.
800GbE-Trend in Deutschland angekommen
In Deutschland nahm der Datendurchsatz am zentralen Netzknoten DE-CIX bis 2019 nur langsam zu, in den beiden Pandemie-Jahren dagegen umso mehr: Fast 60 Prozent höher liegt derzeit der durchschnittliche Datendurchsatz im Vergleich zu den Zahlen vom Jahresbeginn 2020. Auch DE-CIX hatte erst 2019 seine Infrastruktur auf 400Gb-Netzwerktechnik umgestellt.
Kaum drei Jahre später kündigte der deutsche Internet-Knoten, an dem 1.100 Netzwerke angeschlossen sind, nun den nächsten Schritt an. Gemeinsam mit Nokia wird der Frankfurter Knoten, der auf 35 Standorte verteilt ist, bis zur Jahresmitte auf 800-Gigabit-Ethernet aufgerüstet.
Für Thomas King, CTO bei DE-CIX, ein wichtiger Schritt, um sich für die Zukunft zu rüsten. Der größte europäische Internet-Knoten, mit einem Datendurchsatz-Peak von inzwischen 11 Tbps, benötige Hardware der neuesten Generation, um den Kunden langfristig zuverlässige und nahtlose Peering- und Interconnection-Dienste anbieten zu können, betonte King.
So werden die Edge-Server mit neuen Nokia 7750 SR-14-Modellen ausgestattet. Diese unterstützen nicht nur 800GbE, sondern sollen auch zu einer deutlichen Reduzierung des Stromverbrauchs beitragen.
Hyperscaler treiben Umstieg voran
Das Marktforschungsunternehmen LightCounting geht davon aus, dass bei den fünf größten Cloud- und Hyperscale-Rechenzentrumsbetreibern – Alibaba, Amazon, Facebook, Google und Microsoft – sowohl 200GbE- wie auch 400GbE-Transceiver bereits im kommenden Jahr ihren Höhepunkt erreichen und die Stückzahlen dann wieder zurückgehen. Noch 2024 würde demnach der Umsatz der Top-5-Kunden mit 800-GbE-Transceivern die Umsätze der beiden vorangegangenen Technologie-Generationen übertrumpfen.
Aber nicht nur die großen Hyperscaler benötigen in Zukunft deutlich mehr Bandbreite. Denn auch in vielen anderen Bereichen werden die Datenmengen steil ansteigen. Leistungshungrige Anwendungen wie Augmented und Virtual Reality (AR/VR), die in den kommenden Jahren zum Beispiel bei Instandhaltung und Wartung in der Industrie zunehmend zum Einsatz kommen, Videoinspektionen per Drohnen, beispielsweise von Windkrafträdern, hohen Türmen und anderen unzugänglichen Gebäudeteilen, Qualitätskontrolle per Kamera und viele weitere Bewegtbild-Anwendungen werden für erhebliche Datenmengen sorgen.
Das trifft insbesondere dann zu, wenn auch noch höher aufgelöste Videoformate benötigt werden, wie etwa in der Telemedizin. 5G-Campusnetze, die Sensor- und Maschinendaten an Edge-Server weiterleiten, und 5G Public Networks, die den mobilen Datenzugriff beschleunigen, tragen ebenfalls zur wachsenden Datenflut bei, genau wie datenhungrige KI-Anwendungen, die in immer zahlreichere Lebensbereiche vordringen.
800GbE-Technik bietet mehr als nur mehr Bandbreite
Nach der Verabschiedung des Standards 800GBASE-R durch das Ethernet Technology Consortium im April 2020 dauerte es weniger als ein Jahr, bis die ersten kohärenten DSP-Chips der fünften Generation vorgestellt wurden. Inzwischen haben eine ganze Reihe von Anbietern entsprechende Transceiver vorgestellt, wie etwa Hitek Systems, Marvell oder Microchip. Die neue DSP-Generation, die erstmals in einem 7-nm-CMOS-Prozess hergestellt wird, zeichnet sich durch eine Reihe von Innovationen aus.
Quelle: Rosenberger OSIMit höheren Daten-Raten (>90Gbaud), der Unterstützung von 800G-Wellenlängen und der flexiblen Anpassung der benötigten Bandbreite ermöglichen sie einen effizienteren Netzwerkverkehr. So können die Netzwerkbetreiber die Kosten pro Bit pro Kilometer senken, und auch der Energiebedarf in Watt pro Bit pro km liegt niedriger als in vorangegangenen Transceiver-Generationen. Zudem können sie flexibler konfigurieren, ob sie eher eine höhere Bandbreite oder eine größere Reichweite benötigen.
Standardisierung schreitet schnell voran
Die IEEE 802.3 Ethernet Working Group hat die P802.3df Task Force ins Leben gerufen, die Standards für 800-Gbit/s- und 1,6-Tbit/s-Ethernet definieren soll. Davon abgeleitet soll es auch zusätzliche Standardisierungen für die 200- und 400-GbE-Varianten geben.
Die Weiterentwicklung der Ethernet-Technologie ermöglicht einen Leistungszuwachs jeweils auf zwei Wege. Wo bislang 400 Gbit/s über 8 Lanes mit je 50 GBit/s (bzw. brutto: 56 GBit/s) möglich waren, können beim 800GbE 8 Lanes mit je 100 GBit/s (brutto: 112 GBit/s) genutzt werden. Alternativ ermöglichen die neuen Standards, 2x400GbE zu einem 800GbE-Datenstrom zusammenzufassen.
Zugleich wirken sich die Neuerungen auch auf die vorangegangenen Ethernet-Varianten aus. Mit Transceivern neuer Generation wird auch 400GbE mit 4x100GBit/s möglich. Und die nächsten Schritte stehen bereits bevor. Im kommenden Jahr soll 1.6TbE realisiert werden, dann mit 200 GBit/s je Lane (brutto: 224 GBit/s), die auch ein 800GbE mit 4×200 GBit/s verwirklichen.
Das Normierungsgremium International Photonics & Electronics Committee (IPEC) hat darüber hinaus Ende Januar die Basisspezifikationen für 800G DR8- und 2x400G FR4-Schnittstellen vorgestellt. In der zweiten Jahreshälfte sollen 800G DR- und FR-Standards folgen. Die PMD-Arbeitsgruppe des IPEC (Physical Media Dependent) arbeitet an einer Vielzahl von Netzwerkszenarien, darunter auch die 800G-Übertragung über 500 m, 2 km, 10 km und 80 km.
Nahtloser Übergang bei den Schnittstellen…
Um diese Bandbreitenverbesserungen ohne großen Aufwand nutzen zu können, musste ein einfacher Übergang von Single-Port- zu Dual-Port-400G-Optik im 800G-Formfaktor bereitgestellt werden, der es erlaubt, die installierte Basis von LC- und MTP®/MPO-Glasfaseranschlüssen weiter zu nutzen.
Zwei konkurrierende Industrie-Konsortien von Transceiver-Herstellern haben entsprechende Spezifikationen vorgelegt, die auch die Stecker für die Glasfaser-Verkabelung des 800GbE betreffen. OSFP MSA (Multi Source Agreement) hat mit Revision 4.0 im Mai 2021 die Unterstützung von 800GbE mittels Dual-400G und Oktal-100G in seine OSFP Module Specification (aktueller Stand: Rev 4.1) eingefügt. Das Konsortium betont jedoch, dass auch mit der vorangegangenen Spezifikation bereits 800GbE möglich gewesen war. Zugleich starteten die Arbeiten am künftigen 1.6TbE, das mit Rev. 5.0 eingeführt werden soll.
Beinahe zeitgleich hatte die QSFP-DD MSA Group ihre Hardware-Spezifikation 6.0 erstmals um den Standard QSFP-DD 800 erweitert, der ebenfalls auf 2x400G oder 8x100G setzt und später mit 200Gb je Lane auf 1,6 Tbit/s erweitert werden soll. So soll der reibungslose Übergang von 400GbE zu 800 GbE und 1.6TbE gewährleistet werden.
…aber Diversifikation der Stecker
400 bzw. 800G Anwendungen können auf vielseitige Weise umgesetzt werden. Dadurch steigt auch die Variabilität bei den Steckverbindern. Dieser Trend war bereits bei 400GbE erkennbar und setzt sich auch bei 800GbE-Lösungen fort. Durch diese Komplexität empfiehlt es sich, für RZ-Betreiber bei der Implementierung von 400 oder 800G Applikationen von Verkabelungsspezialisten wie Rosenberger OSI beraten zu lassen und jetzt schon einen Blick auf die Spezifikationen zu werfen. Denn bei der Wahl der richtigen Verkabelungslösung ist der individuelle Anwendungsfall entscheidend.
Beim Multimode-Standard 800G-SR8 für kurze Strecken (bis 50 m) wird zum einen die bisherige MPO/MTP®-Technik zum Einsatz kommen, wahlweise in der Variante OM4 MPO/MTP® 16 mit Schrägschliff (APC8°), oder als Dual MPO/MTP® 4+4 (OCTO), mit geradem Schliff (PC0°).
Daneben sind jedoch auch die brandneuen Very Small Form Factor (VSFF) Konnektoren wie der MDC oder der SN im Anmarsch. Insbesondere dem MDC (Miniature Duplex Connector) von US Conec, durch den die Portdichte deutlich erhöht und dadurch Platz im Rack eingespart werden kann, wird ein großes Potential für die Zukunft beigemessen. Entwickelt als Media Dependent Interface (MDI) bzw. Optical Interface der neuen SFP-DD und QSFP-DD Transceiver könnte dieser dem Massenstecker LC-Duplex künftig den Rang ablaufen. So die Prognose.
Für den Singlemode-Standard 800G-DR8 (bis 2 bzw. 10 km) sind ebenfalls entsprechende MPO/MTP®-Varianten zu erwarten, in dem Fall MPO/MTP® 16 APC 8° oder als Dual MPO/MTP® 4+4 (OCTO) APC 8°. Nicht zu vergessen auch die bereits erwähnten Steckverbinder MDC und SN. Bei der Variante 800G-DR4 für Strecken von 1 bis 2 Kilometer, sollen sogar ausschließlich der MDC oder der SN zum Einsatz kommen.
Mit den Standards 800G-FR8 und 800G-LR8 lassen sich ebenfalls bis 2 bzw. 10 km überbrücken. Hier setzen die Hersteller weiterhin auf LC-Konnektoren, ebenso wie bei 800G-FR4, 800G-ZR und 800G-ZR-Lite. Aus der Reihe fallen 800G-2FR4 und 800G-2LR4, für die Dual-LC-Stecker zum Einsatz kommen, dazu noch in zwei unterschiedlichen Varianten: entweder als Singlemode LC-Duplex (LC-Compact) oder als Dual-Mini-LC, auch unter der Bezeichnung Mini-LC-Duplex zu finden.
Aktuelles Know-how gefragt
Die Entwicklung von 800GbE ist noch nicht am Ende – weitere Standards sind bereits angekündigt. Die Vergrößerung der Bandbreite mittels höherer Übertragungsgeschwindigkeiten je Lane oder neuen Kombinationen beim Bündeln von Lanes wird zum Teil auch in den Standards für 200GbE und 400 GbE nachvollzogen. Was das für die Infrastruktur heißt, welche Stecker benötigt werden und wie es um die Rückwärtskompatibilität steht, sind Fragen, die jeweils aktuell beantwortet werden müssen.
Harry Jacob ist freier Journalist aus Augsburg.