Im MIDRANGE-Interview mit Maggie Slowik (Industry Director Manufacturing bei IFS) und Heiko Chudzick (Executive Vice President Operations bei Hexagon Purus) klärten wir, wo die deutsche Wirtschaft beim Thema ESG-Reporting steht. Zudem besprachen wir, wie man sich als Unternehmen diesem Thema und letztlich einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsstrategie nähert und diese schlussendlich umsetzt.

Wie ist der Stand in der deutschen Wirtschaft beim Thema ESG-Reporting?

Chudzick: Wenn ich auf unser Unternehmen und die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, blicke, kann ich nur sagen, dass noch nicht alles abgeschlossen ist, aber die Unternehmen tatsächlich daran arbeiten. Viele Maßnahmen sind nicht nur geplant, sondern ein Teil ist auch schon umgesetzt. Grundsätzlich sind wir in Deutschland gar nicht so schlecht aufgestellt. Unser Unternehmen Hexagon Purus ist ein norwegisches Unternehmen, das an der Börse in Oslo gelistet ist, und die Anforderungen dort sind ein bisschen strikter. Aus der Notwendigkeit heraus kommt ein gewisser Drive, und wir sind ein bisschen besser gewappnet als andere Unternehmen. Es geht in die richtige Richtung.

Slowik: Ich habe einen globalen Blick. Ich arbeite mit Kunden aus aller Welt zusammen. Tatsächlich sehen wir, dass sich die europäischen Unternehmen im Augenblick sehr stark mit diesem Thema befassen. Der DACH-Markt ist generell ein bisschen besser vorbereitet. Wir haben vor Kurzem eine Studie mit 800 globalen Unternehmen durchgeführt. Auch diese zeigt, dass deutsche, schweizerische und österreichische Unternehmen wesentlich vorbereiteter sind als ihre europäischen Kollegen. Das spiegelt sich natürlich auch in der Zusammenarbeit mit IFS wider.

 

Welche Anforderungen müssen Unternehmen denn nun beim Thema ESG Reporting umsetzen?

Chudzick: Aufgrund der Anforderungen, die auf der sogenannten Double Materiality-Vorgabe, also der Wesentlichkeitsbetrachtung, basieren, müssen wir ganz klar analysieren, was wir überhaupt tun. Wo ist unser Schwerpunkt? Wir machen eine Inside-Out- und Outside-In-Analyse: Was können wir leisten? Was ist die Erwartung seitens der Industrie, unserer Stakeholder, von Shareholdern, Kunden und Lieferanten? Und was ist unser Beitrag? Die Berichterstattung ist am Ende nur das Frontend, auf das man blickt, aber bei den Maßnahmen, die ich hier hinterlege, geht es wirklich darum, auch etwas zu tun. In der Vergangenheit war es so, dass jedes Unternehmen alles leisten musste, und so versuchte jeder, alles ein bisschen. Aber ein Unternehmen muss sich ja fokussieren und gezielte Maßnahmen einleiten, und das ist die heutige Anforderung.

Slowik: Zunächst mal muss man sagen, dass zurzeit tatsächlich sehr viel passiert. Und viele Kunden machen derzeit tatsächlich Double Materiality Assessments. Man muss den Fokus finden. Man kann nicht alles auf einmal machen. Für uns ist es wichtig, unsere Kunden hierbei zu unterstützen. Über 50 % der Daten, die vom CSRD gefordert werden, bestehen ja in einem ERP-System. Für uns in der Produktentwicklung ist es daher wichtig, es unseren Kunden zu ermöglichen, mit diesen Daten zu arbeiten.

Derzeit arbeiten wir an einem ganz neuen Modul, das Ende des Jahres veröffentlicht wird: das Sustainability Management Modul. Das setzen wir zusammen mit PWC um. Damit können unsere Kunden ihre Daten mappen und sich mittels eines KPI-Katalogs auf die CSRD-Direktive vorbereiten. Denn im System haben wir natürlich Produktions-, Logistik-, Einkaufsdaten und viele weitere mehr. Diese sollen wiederverwendet werden und nicht in Excel-Spreadsheets weiterleben. Denn das ist ein Problem, das viele Kunden zunächst mitbringen. Erst gestern hat mir ein Kunde mitgeteilt, dass sie die ESG-Daten von 60 verschiedenen Stakeholdern aus der ganzen Welt sammeln. Diese Daten werden in verschiedenen Währungen, Sprachen und Einheiten übermittelt. Stellen Sie sich das Fehlerpotenzial vor, diese Daten korrekt einzugeben und dann den Aufwand, der mit der Konvertierung in dasselbe Format verbunden ist. Umso wichtiger ist es, dass all diese Daten im ersten Schritt in IFS implementiert werden.

 

Es geht also um deutlich mehr als „nur“ Berichterstattung. Wenn ich als Unternehmen eine echte Nachhaltigkeits-Strategie ausarbeiten und umsetzen will. Wie gehe ich vor?

Chudzick: Es bringt nichts, wenn ich einfach eine Nachhaltigkeitsstrategie aufbaue, die nicht zur Gesamtstrategie passt. Ich muss überlegen: Wo entwickle ich das Unternehmen hin? Wo steht es in Zukunft? Mit welchen Lieferanten und welchen Kunden werde ich zusammenarbeiten? Was ist deren Erwartungshaltung? Wie werde ich in der Gesellschaft gesehen? Was ist mein Beitrag? Insbesondere der soziale Aspekt, das S in ESG, hat sich ja enorm gewandelt. Für unser Unternehmen bedeutet das: Wir wollen wirklich einen Beitrag für eine bessere Zukunft leisten. Und das ist in den Unternehmenszielen verankert. Und dann ist die Frage, wie ich das ableite. Also nochmal zurück zur vorherigen Frage. Ich fange mit einem Double Materiality Assessment an: Outside-In, Inside-Out. Und das arbeite ich in eine Gesamtstrategie hinein. Das muss passen.

Nun muss ich zunächst einmal alle Daten sammeln. Ich muss die Maschinen anschließen, ich muss die Stromverbräuche und Emissionen messen. Ich würde gerne wissen, wie viel Tonnen Papierabfall ich habe und wie viel davon sortenrein recycelt wird. Wie viele und welche Öle habe ich? Ich muss unbedingt festlegen, wo ich anfange. Ich kann nicht alles auf einmal machen.

 

Es geht tatsächlich um die Zukunft der Gesellschaft?

Chudzick: Das ist so. Die jetzigen Abgänger von Hochschulen und Schulen wollen ja auch gar nicht mehr unbedingt das meiste Geld verdienen, sie suchen nach Unternehmen, die nachhaltig arbeiten. Sie machen sich ganz andere Sorgen, als dies noch vor zehn oder 15 Jahren der Fall war. Ist das eine sinnvolle, sinnhafte Arbeit? Das hat einen ganz starken gesellschaftlichen Aspekt, auch für die Arbeitnehmer. Und tatsächlich reißen wir ja alle Klimaziele. Deswegen haben wir als Hexagon Purus investiert. Zum Beispiel haben wir all unsere neuen Gebäude mit Solaranlagen ausgestattet. Zahlt uns das jemand? Nein, zunächst nicht. Aber wir machen es.

 

Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung aus Ihrer Sicht?

Slowik: Viele Kunden haben wirklich ein riesengroßes Problem mit dem Thema Daten und Datenerfassung. Es ist eine riesengroße Aufgabe, alle Daten an einem Ort zusammenzutragen und die Mentalität zu etablieren, dass man dafür Technologie und keine Spreadsheets nutzt.

Teilweise besteht auch einfach mangelnde Aufklärung. Es verändert sich ja auch extrem viel. Man weiß nicht, was als Nächstes kommt und welchen Anforderungen man dann zu folgen hat. Das Thema Stakeholder Management, also intern die Leute mitzunehmen, ist eine riesige Aufgabe.

Es muss einfach Teil der Geschäftsstrategie sein. Es darf keine Initiative im Silo sein. Damit kämpfen viele Unternehmen. Ich sehe zum Beispiel, dass viele unserer Kunden sich stark engagieren, was das Thema ‚Sustainability Development Goals‘ von der UN angeht. Aber die Strategie ist einfach oft noch nicht da.

Chudzick: Ich bin seit 2018 im Unternehmen. 2019 haben wir mit dem Thema Reporting angefangen. Damals haben wir ganz banal Stromzähler abgelesen und in Excel-Listen eingetragen. Dann mussten wir uns erst einmal über die Einheiten klarwerden. Wir sind ja international aufgestellt. Sind es Kilogramm oder englische Pfund? Wie wird das berechnet? Kann man die Anlagen überhaupt vergleichen? Damals hatten wir nicht nur ein ERP, sondern mehrere. Also mussten wir eine Software draufsetzen, die die Daten aus verschiedenen Systemen und Excel-Listen konsolidiert hat. Das waren die Hands-on-Hürden, um überhaupt eine einigermaßen solide Basis an Informationen zu haben.

Über die Jahre haben wir uns dann Schritt für Schritt verbessert und immer mehr ins ERP-System integriert. Nun wollen wir noch mehr hineinbringen. Deswegen arbeiten wir auch mit IFS zusammen.

Für die Umsetzung muss ich den Mitarbeitern wirklich den Mehrwert der ganzen Thematik vermitteln. Dann fängt man gemeinsam an, sammelt und sucht zusammen nach Lösungen. Es geht nicht um abstrakte Begriffe, sondern um Hands-on-Themen.

 

Welche Chancen ergeben sich aus der ESG Berichtspflicht vielleicht auch für Unternehmen?

Slowik: Der positive Aspekt dieser Richtlinien ist, dass die Firmen aufwachen. Es gibt Deadlines und Timelines. Deswegen bewegt sich etwas. Es gibt Unternehmen, die das als größere Chance betrachten als andere Unternehmen. Interessant wird es, wenn Unternehmen das Ganze nicht als Box-Ticking-Exercise betrachten, sondern es im operativen Bereich einsetzen, weil es Kosten und Energie spart und weniger Abfall anfällt.

Wir haben wirklich viele Kunden, die das als Chance sehen und ihre Daten nutzen wollen, um ihr Geschäftsmodell zu transformieren, neue Märkte zu erschließen und neue Arbeitsplätze zu schaffen – zum Beispiel mit einem zirkulären Geschäftsmodell. Und da gibt es immer die Leader – die Unternehmen, die vorangehen und wirklich etwas ganz Neues schaffen wollen. Es sind superspannende Zeiten, und es wird sich noch viel tun in der Zukunft.

 

Herr Chudzick, konnten Sie die Begeisterung für das Thema in der Belegschaft wecken und wie geht es mit dem Thema Nachhaltigkeit bei Ihnen weiter?

Chudzick: Ja, wir konnten das wecken. Aber am Anfang ist es tatsächlich so, dass die Belegschaft über eine weitere Verordnung zunächst einmal stöhnt. Man muss sie lesen und verstehen und dann für sich übersetzen.

Gibt es Chancen? Definitiv. Denn man wird vergleichbarer. Rein aus wirtschaftlicher Sicht kann ich mir mit einer guten Umsetzung der Direktive einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten. Wenn ich es nicht mache, darf ich nicht mehr mitspielen.

Aber man muss es richtig machen – glaubwürdig und mit einer ordentlichen Strategie. Und dann muss ich den Mitarbeitern vermitteln, dass das Teil unserer Daseinsberechtigung ist.

Die Chancen sind definitiv höher als die Lasten, die von den Direktiven ausgehen. Aber man muss es auch so betrachten – keine Bürde, sondern eine Chance.

 

Frau Slowik, Herr Chudzick, herzlichen Dank für dieses hoffnungsmachende Interview!

[msch]

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