Künstliche Intelligenz macht nahezu vor keinem Bereich Halt. Selbstverständlich und erfreulicherweise auch nicht vor der Rechnungsverarbeitung. Doch was bedeutet das genau? Das fragten wir Matthias Lemenkühler, CPTO bei der xSuite Group, im MIDRANGE-Interview.
Herr Lemenkühler, wir wollen über Künstliche Intelligenz in der Rechnungsverarbeitung sprechen. In ein paar Sätzen: Worum geht’s hierbei?
Künstliche Intelligenz in der Rechnungsverarbeitung kann Finanzprozesse durch maschinelles Lernen und intelligente Algorithmen automatisieren und optimieren. Sie übernimmt dabei Aufgaben wie das Auslesen und Validieren von Rechnungsdaten, die Erstellung von Buchungsvorschlägen sowie die Analyse großer Datenmengen zur Verbesserung von Prognosen, Risikomanagement und Compliance. Ziel ist es, manuelle Tätigkeiten zu reduzieren, Routineaufgaben zu automatisieren und damit Prozesse effizienter zu gestalten. Gleichzeitig verbessert sich damit die Genauigkeit der Finanzdaten. So sind präzisere Analysen möglich, was zu fundierteren Entscheidungen führt.
Los geht’s wahrscheinlich bei der Belegerfassung – grundsätzlich ja ein alter Hut. Was macht Ihr System, inklusive Large Language Model, besser als die Konkurrenz?
Wir setzen auf unser langjähriges SAP Know-how und darauf, dass wir die Gesamtprozesse End-to-End verstehen. Wir wissen, welche Daten man benötigt, um innerhalb von SAP, Prozesse zu automatisieren. Genau diese Kombination macht uns stark: die technischen Möglichkeiten der LLMs, unsere speziellen Anpassungen für die Rechnungsverarbeitung und unsere SAP-Expertise rund um Daten und Prozesse.
Ganz konkret bezogen auf den Einsatz Großer Sprachmodelle (Large Language Models/LLMs) in unserer Software heißt das: Bei der Beleglesung ermöglichen sie eine zuverlässigere Erfassung der Rechnungsdaten, mit weniger Aufwand in der Validierung.
Manuelle Eingaben werden mit ihrer Hilfe auf ein Minimum reduziert und Fehlerquoten somit signifikant gesenkt. Wir verwenden z.B. ein speziell für die Rechnungsverarbeitung in SAP optimiertes LLM, das herkömmliche Capture-Technologien deutlich übertrifft. Während diese an starre Logiken oder spezifische Trainingsdaten gebunden sind, interpretiert das LLM unstrukturierte Rechnungsinhalte kontextbezogen. Es erkennt automatisch relevante Daten, ohne für jeden Lieferanten individuell trainiert werden zu müssen. So erreichen wir deutlich höhere Erkennungsraten (bis zu 95%) und steigern die Hintergrundverbuchungsquote signifikant.
Im Zuge der E-Rechnung wird das – zumindest im B2B-Bereich – aber ohnehin irgendwann obsolet werden, oder?
Der Gedanke liegt nahe, ist jedoch aus dreierlei Gründen unzutreffend. Zum einen setzen zwar immer mehr Länder auf die verpflichtende Einführung der E-Rechnung, aber eben nicht alle. Zudem gibt es zahlreiche Ausnahmen, in Deutschland etwa Rechnungen über Kleinstbeträge oder Fahrscheine. In diesen Fällen bleibt der klassische Beleg – ob als PDF oder gescanntes Dokument – weiterhin Standard. Hierfür braucht man wie bisher Datenextraktion.
Desweiteren sind Rechnungen nicht die einzigen Dokumente, die ausgelesen werden müssen. Ein Gesamtablauf wie der Purchase-to-Pay-Prozess (P2P) umfasst deutlich mehr Dokumententypen. Viele dieser Dokumente wie Auftragsbestätigungen, Lieferscheine, Zahlungsavis oder Gutschriften sind nicht standardisiert und unterliegen keinen E-Rechnungspflichten. Hier ist das „intelligente Erfassen und Verstehen“ mit KI-Systemen, die sich auf vielfältige Dokumenttypen anpassen und kontinuierlich lernen, weiterhin essenziell.
Und last but not least: Künstliche Intelligenz kommt nicht nur in der Beleglesung zum Einsatz. Sie unterstützt auch bei den nachfolgenden Verarbeitungsschritten einer Rechnung. Es fehlen auch bei einer vollständig maschinenlesbaren Rechnung mitunter wichtige Zusatzinformationen, etwa für die korrekte Kontierung, Budgetzuordnung oder die Einordnung in komplexe Einkaufsprozesse. Hierzu braucht es Kontextwissen: In welchem Projekt wurde die Leistung erbracht, zu welcher Kostenstelle gehört sie? Künstliche Intelligenz kann diesen Kontext aus ERP-Daten und Historien ableiten und sinnvolle Zuordnungen und Vorschläge generieren.
Ist der Beleg erfasst, soll er automatisch in SAP verbucht werden. Wie funktioniert das, und wie stellt man sicher, dass keine Fehler passieren?
In der SAP-integrierten Rechnungsverarbeitung kommt bei xSuite an dieser Stelle der Prediction Server zum Einsatz. Er analysiert die Rechnungsdaten, zieht relevante Informationen aus Buchungen und Workflows und generiert basierend darauf automatische Vorschläge. Bei unseren Kunden haben sich die Kontierung, also das Sachkonto, die Kostenstelle oder der Innenauftrag, als die wichtigsten Vorschlagsfunktionen herausgestellt. Daneben schlägt er aber auch die Bearbeiterfindung vor. Mitarbeitende müssen dadurch weniger Routineentscheidungen treffen und können sich komplexeren Aufgaben widmen. Ihre Aufgabe bei der Verbuchung beschränkt sich dann auf die Behandlung von Ausnahmen.
Kann ich die Eingaben der KI denn nachträglich auch noch ändern?
Algorithmen sollen den Menschen unterstützen, ihn aber nicht ersetzen. Deshalb müssen Unternehmen darauf achten, dass KI-gestützte Entscheidungen nachvollziehbar bleiben. Automatisierte Systeme sind nicht unfehlbar und KI ersetzt keine menschliche Expertise. Es ist wichtig, dass sie überprüfbar und ihre Entscheidungen im Zweifel revidierbar bleiben, um Fehlentscheidungen zu vermeiden.
Wie steht es um das Thema Fraud Protection?
Um finanzielle Stabilität und Compliance sicherzustellen, müssen Unternehmen Risiken identifizieren, bewerten und managen. KI ist hierfür wie gemacht, denn sie ist sozusagen Meisterin darin, Abweichungen von Mustern, d.h. Anomalien, zu erkennen. Wenn Trainingsmengen mit dem Wissen der LLMs kombiniert werden, sind Auffälligkeiten in Zahlungsvorgängen viel schneller aufgespürt als durch manuelle Prüfung. Schickt etwa ein Lieferant immer Rechnungen in einer bestimmten Höhe, lassen sich durch Einbeziehung weiterer Informationen zu ihm schnell plötzliche Abweichungen feststellen. Der ganze Vorgang wird als Warnung eingestuft, man kann die Sache prüfen und präventiv tätig werden.
Ihr System ist SAP-kompatibel. Bieten Sie auch Schnittstellen zu weiteren Systemen an?
Kernkompetenz der xSuite Group sind Rechnungen in SAP. Viele, insbesondere große, SAP-Anwenderunternehmen machen aber nicht SAP-only, sondern haben auch andere ERP-Systeme im Einsatz. Für diese bieten wir ebenfalls Lösungen an. Unsere Lösungen für Beleglesung und Archivierung sind ohnehin ERP-unabhängig
Auf Ihrer Website las ich, dass Sie so auch dem Fachkräftemangel in der Buchhaltung entgegenwirken können. Inwiefern?
Viele Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, dass erfahrene Beschäftigte in der Buchhaltung, die alle Kontierungsregeln im Schlaf kannten, in den Ruhestand gehen und neues Personal erst eingearbeitet werden müsste. Der Fachkräftemangel erschwert diese Situation zusätzlich. Diesem Umstand kann KI etwas entgegensetzen, in dem sie unerfahrene Mitarbeitende mit Vorschlagsfunktionen unterstützt, zum Beispiel bei der Bearbeiterfindung für die Rechnungsprüfung oder Kontierung.
Begegnen Sie bei Belegschaften denn auch Ressentiments gegenüber solchen KI-gestützten Systemen? Es geht ja durchaus auch die Jobangst um.
Auch die Rollenbilder der Mitarbeitenden befinden sich im Wandel und die Anforderungen an sie werden sich ändern. Der Einsatz von KI verändert Arbeitsabläufe und kann Unsicherheiten, Ängste vor Bedeutungs- und damit Jobverlust hervorrufen Diese gilt es zu adressieren und alle Beschäftigten in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Gezielte Kommunikation und Schulungen helfen, die Akzeptanz der neuen Technologie zu fördern, die letztendlich jeden in seinem Job unterstützen und Arbeitsabläufe vereinfachen sowie ergänzen soll. Dann kann KI in Unternehmen auch ihr volles Potenzial entfalten.
Wie sieht aus Ihrer Sicht die Buchhaltung der Zukunft aus?
Derzeit befinden wir uns an einem Wendepunkt von regelbasierten Workflows als Basis, die zunächst um lernende Systeme erweitert wurden, hin zu einer Agentic AI, welche eigenständig handeln und Prozesse autonom steuern soll. Der Fokus liegt dabei auf einem höchstmöglichen Automatisierungsgrad, ohne bewährte Prozesse vollständig zu ersetzen. Die KI würde dann z.B. Rechnungen basierend auf Fälligkeiten und Skontobedingungen priorisieren, Verarbeitungsworkflows selbständig initiieren, bei kritischen Abweichungen eskalieren und ganz nebenbei kontinuierlich die Cash-Flow-Planung optimieren.
Was auch immer mitgedacht werden muss, sind der Datenschutz, die Integration neuer Technologien in bestehende Systeme, die Gewährleistung, das KI-Analysen auch genau und zuverlässig sind sowie die Notwendigkeit qualifizierter Beschäftigter, die Prozesse und Technologie verstehen und auch steuern können. Insgesamt bietet KI enorme Chancen für Unternehmen, effizienter zu werden, fundiertere Entscheidungen zu treffen und sich Wettbewerbsvorteile zu sichern.
Quelle: xSuite Group
