Ob Arbeitsschutz, Brandschutz oder Datenschutz: Betriebliche Unterweisungen sind bei Mitarbeitenden selten beliebt, allerdings aus guten Gründen gesetzlich vorgeschrieben. Mit dem Einsatz von XR-Medien (XR steht für Extended Reality oder erweiterte Realität) könnte diese Pflichtunterweisungen zu einem gefragten Erlebnis unter Mitarbeitenden avancieren. Warum es sich lohnt, die virtuelle Realität im Unternehmen zu testen und worauf Entscheider bei der Einführung der Technologie achten sollten.

Betriebliche Unterweisungen sind wichtig für die Sicherheit am Arbeitsplatz und deshalb vielfach gesetzlich vorgeschrieben. Denn bei einer Evakuierung, beim Erste-Hilfe-Einsatz oder der Vermeidung von Arbeitsunfällen ist immer noch der Faktor Mensch und sein Bewusstsein für sicherheitsrelevante Risiken entscheidend. In vielen Betrieben laufen diese Unterweisungen allerdings nach der Methode: „Sage es mir und ich werde es vergessen“. Kein Wunder also, dass die Schulungen laut Gesetzgeber jährlich wiederholt werden müssen.

Der Einsatz von XR-Medien könnte die Haltung vieler Mitarbeitender zu Pflichtschulungen wie Weiterbildung insgesamt erheblich verändern – frei nach dem Konfuzianischen Motto: „Lass es mich tun und ich werde es verstehen.“ Unter XR-Medien versteht man das digitale, interaktive Lernen unter Einsatz z.B. von Virtual Reality (VR)-Simulationen oder Augmented Reality (AR)-Visualisierungen. Mit XR-Technologie lassen sich reale Gefahrensituationen im digitalen Raum nachstellen, Konsequenzen sichtbar machen und realitätsnah vom Teilnehmer bewältigen.

Gelungene Einsätze im Bereich Brandschutz oder Baustellensicherheit belegen dies bereits eindrucksvoll. Durch das Eintauchen in die virtuelle (VR) oder angereicherte (AR) Realität erleben die Teilnehmenden realistische Stressbedingungen, müssen eigene Entscheidungen treffen und erfahren ggf. auch die direkten Konsequenzen ihrer Handlungen. Alles, was die AnwenderInnen dafür benötigen, ist ein Tablet, PC, Smartphone oder eine VR bzw. AR-Brille.

Mikro-Simulationen befördern die Erkenntnis in die eigenen Fähigkeiten

Die Vorteile: Trainings mit XR-Inhalten und Datenbrille ermöglichen ein viel aktiveres Erlernen als die theoretische Vermittlung des richtigen Verhaltens, etwa im Brandfall oder bei einem Unfall am Arbeitsplatz. Nicht selten berichten Teilnehmende nach einer XR-Simulation von einem Aha-Erlebnis: „Ich dachte, ich kenne schon alle Vorschriften, aber so sicher bin ich im Ernstfall ja gar nicht… “ Mikro-Simulationen spiegeln wider, auf welchem Kompetenzniveau sich Mitarbeitende befinden und wo noch Schulungsbedarf herrscht. Die Einsicht in die Notwendigkeit solcher Trainings steigt – während der Interaktion und vor allem beim Anwender selbst.

Zu einem der größten Mehrwerte von XR zählt die sogenannte Immersion: Durch das Eintauchen in Themen und Inhalte entsteht ein ganz anderer Fokus und Flow beim Trainingsteilnehmenden als beim frontalen Lernen. Der Teilnehmende kann sich vielmehr voll und ganz auf die jeweilige Trainingssituation einlassen, seine Aufnahmefähigkeit für Inhalte ist um ein Vielfaches besser – insbesondere, wenn es sich um interaktive Trainings handelt und die Aktivität nicht nur auf das Sehen und Konsumieren von Inhalten beschränkt ist.

XR-Trainings: Schritt in eine kostengünstigere Sicherheitskultur

Neben der Immersion bietet XR noch andere Vorteile: Teilnehmende der Schulung können sich von überall über ihr mobiles Endgerät einwählen und müssen für eine Schulung nicht extra anreisen. Maschinen werden nicht durch Schulungen blockiert, Produktionsstopps werden minimiert. Folgenschwere Schäden wegen Fehlbedienung werden deutlich verringert, da die Mitarbeitenden in der virtuellen Welt üben. All das spart Zeit und Kosten und steigert die Sicherheit von Mensch und Maschine. Der Umstieg auf XR-Trainings ist somit der Schritt in eine wesentlich kostengünstigere Kompetenzentwicklung und Sicherheitskultur.

Trotz dieser Vorteile ist es nicht zwingend, Präsenztrainings flächendeckend durch XR-Technologie zu ersetzen und Mitarbeitende mit den Anwendungen eigenständig trainieren zu lassen. Im „neuen Normal“, wo Menschen auch wieder in Gruppen aufeinandertreffen, verfolgt die TÜV Rheinland Akademie etwa den Ansatz eines Blended Learning-Konzepts, das Präsenz mit Digitalisierung durch die Einbindung von VR-Inhalten verbindet. Das gefahrlose, interaktive und immersive Erlebnis von zentralen Arbeitsschutzthemen wird von betrieblichen Sicherheitsfachkräften moderiert und angeleitet.

Darauf sollten Unternehmen bei der Einführung achten

Unternehmen, die die Vorteile von AR- oder VR-Technologie in der betrieblichen Unterweisung bzw. in der Weiterbildung konsequent nutzen wollen, sollten ein paar wesentliche Punkte beachten:

  • Analyse: Auf welchen Gebieten ist der Schulungsbedarf besonders hoch, welche Gebiete sind für unseren Betrieb besonders wichtig? Welchen Lerneffekt wollen wir erzielen bzw. wo benötigt man hohe Handlungskompetenzen?
  • Infrastruktur: Die neuen Lernräume sollten infrastrukturell sinnvoll aufgesetzt sein und auch nicht für Testläufe nur auf Flickwerk beruhen. Die Kombination neuer Tablets mit ggf. schon länger im Betrieb vorhandenen, aber veralteten Datenbrillen, die nicht sauber miteinander kommunizieren,
  • hinterlässt bei Anwendern wie z.B. Sicherheitsfachkräften nur Frust und ist wenig geeignet, das Lernerlebnis positiv zu steigern.
    Testlauf mit fertig konfigurierten System durchführen: Zum Ausprobieren ohne längere vertragliche Bindung bietet der Markt inzwischen fertig konfigurierte Systeme, die einen intuitiven Zugang zu VR für Unterweisungszwecke ermöglichen und ein komplettes Tool Set beinhalten, mit dem ein nahezu sofortiger Start aus dem Stand weg möglich ist.
  • Verantwortlichkeiten benennen: Nehmen Sie Ihre Sicherheitsfachkraft bzw. Verantwortlichen rechtzeitig mit und lassen Sie sie den Change-Prozess im Bereich Unterweisung und Weiterbildung mitgestalten. Nehmen Sie ihr die Angst, dass XR-Medien demnächst ihre Stellung überflüssig macht, sondern wecken Sie die Neugier auf diese neuen, inspirierenden Möglichkeiten.
  • Externe Unterstützung: Die Begleitung durch externe ExpertInnen kann sinnvoll sein, wenn unternehmensspezifische Szenarien auf Basis von XR-Technologie abzubilden sind. Der Provider sollte Erfahrung im Umgang mit der Technologie haben und in der Lage sein, sinnvolle Lernszenarien zu kreieren. Eine Weiterbildung internen Personals zum XR-Experten bzw. -Trainer durch externe Unterstützung bringt das Unternehmen schneller auf die Erfolgsspur.

Holger Offermanns ist Global Head of Digital Learning bei der TÜV Rheinland Akademie.

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