Neue, moderne Anwendungen schnell und einfach mit Low-Code entwickeln – ein Ansatz, den immer mehr Unternehmen in der Praxis für sich entdecken. Das Problem dabei: Nur selten können die entwickelten Anwendungen auf der grünen Wiese zum Einsatz kommen. In den allermeisten Fällen müssen sie mit bestehenden Anwendungen interagieren. Bieten diese jedoch keine Schnittstellen, wird der Datenaustausch zur Herausforderung. Abhilfe kann dabei Robotic Process Automation schaffen, die als „Dolmetscher“ zwischen Neu und Alt fungiert.

Die Digitalisierung hat in den vergangenen Monaten und Jahren einen bislang einmaligen Schub erfahren. Doch auch wenn sich im Bereich der Unternehmens-IT viel geändert hat, sehen sich nicht wenige Unternehmen nach wie vor einer Flut an manuellen Prozessen, separaten Excel-Listen und in die Jahre gekommener Legacy-Anwendungen gegenüber. Fehlen Zeit und personelle Kapazitäten für die Modernisierung, kann Low-Code-Entwicklung eine sinnvolle Alternative darstellen, dringend benötigte neue Anwendungen schnell und effizient zu erstellen und so veraltete Systeme abzulösen.

Auf Basis einer visuellen Modellierung lassen sich dabei Entwicklungsprozesse beschleunigen und Developer-Teams von zeitraubenden Standardaufgaben entlasten. Das Spektrum an möglichen Anwendungsszenarien ist weitgefächert: So lassen sich beispielsweise Altanwendungen durch neue, moderne Applikationen ersetzen, die fehlende Funktionalitäten, Mobility-Support oder benutzerfreundlichere Oberflächen bieten.

Auch individuelle Prozessabläufe, für die sich keine Standardlösungen am Markt finden, können Unternehmen mithilfe von Low-Code ressourcenschonend mit Eigenentwicklungen abdecken. Und selbst ganze Core-Systeme wie ERP-Lösungen können bei Bedarf durch Low-Code abgelöst werden, wie etwa das Beispiel des weltweit größten Betreibers von Tankterminals für die Öl- und Gasindustrie Vopak zeigt.

In den meisten dieser Anwendungsfälle erfolgt die Einführung der Low-Code-Applikationen jedoch nicht losgelöst von anderen Anwendungen. Vielmehr besteht der Sinn und Zweck der neuen Lösungen nicht selten genau darin, sich mit diesen zu integrieren und erforderliche Daten auszutauschen.

Verfügen die bestehenden Applikationen über entsprechende Schnittstellen, ist dies auch problemlos möglich. Nicht selten finden sich in der Praxis jedoch Systeme, die keine entsprechende Offenheit bieten. Entweder sie verfügen schlicht über keine APIs oder bieten nur sehr alte und eingeschränkt nutzbare Schnittstellen.

Häufig der Fall ist dies bei Lösungen kleinerer Softwarehäuser, die unter Umständen vielleicht gar nicht mehr weiterentwickelt werden. Auch im Kontext von Eigenentwicklungen, die bei vielen Unternehmen zur Bearbeitung der Geschäftsprozesse zum Einsatz kommen, fehlen häufig generische Schnittstellen. Hinzu kommt, dass zahlreiche Abläufe nach wie vor in Form von Excel-Listen bearbeitet werden, zu denen ebenfalls nicht ohne Weiteres automatisierte Austauschmöglichkeiten bestehen.

Datenaustausch ohne Schnittstellen

Was also tun, um Daten zwischen diesen abgeschlossenen Altsystemen und neuen Low-Code-Ergänzungen auszutauschen? Eine entsprechende Anpassung der vorhandenen Systeme hierfür ist in der Regel mit hohen Kosten verbunden. Es gilt daher, eine Lösung zu finden, die beide Welten ohne größere Modifikationen zusammenbringen kann. An diesem Punkt kommt Robotic Process Automation (RPA) ins Spiel.

Bei der RPA handelt es sich um eine Automatisierungsmethode, bei der ein Software-Bot eine bestimmte Anwendung quasi fernsteuert. Dazu interagiert er in derselben Art und Weise über die Benutzeroberfläche mit der jeweiligen Anwendung, wie dies ein menschlicher Anwender tun würde: durch Eingabe von Daten in entsprechende Felder oder Klicks auf Schaltflächen. Entsprechend ist Robotic Process Automation beim Austausch von Daten nicht auf eine Schnittstelle angewiesen.

Neukundenerfassung mit Low-Code und RPA

Ein Beispiel für das Zusammenspiel von Low-Code- und Legacy-Anwendungen ist das Anlegen von Neukunden im Stammdatensystem eines Unternehmens, das vor Jahrzehnten eigenentwickelt wurde und daher über keinerlei Schnittstellen verfügt. Um Neukunden auch im Außendienst unmittelbar erfassen und im System anlegen zu können, hat das Unternehmen etwa mithilfe von Low-Code eine mobile Lösung entwickelt, die Vertrieblern ein Formular zur Erfassung der Neukundendaten zur Verfügung stellt. Aufgrund der fehlenden APIs ist es jedoch nicht möglich, die beiden Lösungen direkt – beispielsweise per Webservice – miteinander zu verbinden.

Um dennoch einen Austausch zu ermöglichen, ergänzt das Entwicklerteam die Low-Code-Lösung um einen Trigger, der in der Formularansicht beim Klick auf den Button „Speichern“ den RPA-Bot im Backoffice anstößt. Konkret kann es sich bei dem Trigger zum Beispiel um einen Eintrag in einer Datenbank handeln, den die Lösung modifiziert und auf den der RPA-Bot reagiert, oder eine E-Mail, die von der Low-Code-App an das Backoffice versendet wird.

Je nach genutzten Systemen verfügen Low-Code-Plattform und RPA-Software unter Umständen auch über wechselseitige Integrationen, durch die der Bot noch komfortabler aus der entsprechenden Low-Code-Lösung heraus aufgerufen werden kann. In solchen Fällen ist beispielsweise eine Webservice-Kommunikation möglich, die sich im Low-Code-Entwicklungsprozess mit nur wenigen Klicks realisieren lässt, oder gar eine Interaktion über einen speziellen Konnektor, der nativ bereits die Möglichkeit zum Starten eines Bots bietet.

Sobald der Bot ausgelöst wurde, ruft er das Stammdatensystem auf und klickt auf den Eintrag „Neukunde anlegen“. In der sich öffnenden Maske trägt der RPA-Bot die Daten ein, die er aus der Low-Code-Anwendung übermittelt bekommt, und beendet die Eingabe mit einem Klick auf den Button „Speichern“. Auf diese Weise sind die in der mobilen Low-Code-App neu erfassten Kundendaten automatisch im Legacy-Stammdatensystem des Unternehmens angelegt.

Geschlossene Systeme werden offen

Analog dazu lässt sich die kombinierte Technik auch für den umgekehrten Anwendungsfall nutzen, in dem Daten aus einem System ohne Schnittstellen in eine neu entwickelte Low-Code-Lösung übertragen werden sollen. Ein Anwendungsfall hierfür ist beispielsweise die Verarbeitung eingehender Reklamations-E-Mails. Der Eingang einer solchen Nachricht triggert dann automatisch den Bot, der relevante Daten aus dem Nachrichtentext extrahiert und in eine Low-Code-Service-App überträgt, sodass darin direkt mit den entsprechenden Informationen weitergearbeitet werden kann.

Legacy-Lösungen oder Systeme ohne API-Unterstützung gehören auch heute noch zur Realität in zahlreichen Unternehmen. Die Low-Code-Technologie bietet sehr gute Möglichkeiten, diese um moderne Funktionalitäten oder Oberflächen zu erweitern, während RPA die häufige Hürde des Datenaustausches überwinden und die fehlende Brücke zwischen Alt- und Neusystemen schlagen kann. So werden auch geschlossene Systeme offen – und können damit, solange wie erforderlich, ein integrierter Teil einer modernisierten IT-Landschaft bleiben.

Tino Fliege ist Solution Architect bei OutSystems und Lars Klein Geschäftsführer bei S&D Software nach Maß.

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