Wenn es um den Einsatz eines Manufacturing Execution Systems (MES) geht, sind viele Aspekte zu beachten. Im Interview mit dem Midrange Magazin (MM) verdeutlicht René Meevissen, Leiter MES Competence Center bei der PSI Automotive & Industry GmbH, was den Unterschied ausmacht.

MM: Auf welche Probleme stoßen Unternehmen, die MES-Projekte starten – und wie lassen die sich umgehen?
René Meevissen: Eins der häufigsten Probleme ist eine falsche Erwartungshaltung an die Software. Das heißt, Zielvorstellungen sind mangelhaft formuliert und überfrachtet mit Erwartungen, die ein MES gar nicht lösen kann. So sollen zum Beispiel organisatorische oder Prozessmängel behoben werden. Die Aufgabe eines MES ist es aber, die Geschäftsprozesse eines Unternehmens zu unterstützen und benötigte Informationen zur Verfügung zu stellen. Überbordende Erwartungen an Tools lassen sich recht gut durch ein klares Change- und Requirement-Management korrigieren. Von großer Hilfe ist vor allem ein ausgeprägtes Prozessverständnis.

Quelle: PSI Automotive & Industry GmbH

René Meevissen, Leiter MES Competence Center bei der PSI Automotive & Industry GmbH

MM: Was bereitet zudem Probleme?
René Meevissen: Ein weiteres Problem ist der Wunsch nach der Implementierung von sehr aufwändigen, individuellen Prozessen. Problematisch ist nicht nur die lange Projektlaufzeit. In der Regel führen in solchen Projekten auch die schwammig formulierten Zielvorstellungen sukzessive zu Missverständnissen und Akzeptanzproblemen bei den Usern. Auf diese Weise entsteht eine immer größere Lücke zwischen Erwartungen und Ergebnissen. Besonders kritisch wird es, wenn sich die echten Geschäftsprozesse noch während der Projektlaufzeit ändern. Dann passt die Software-Lösung schon vor der finalen Lieferung nicht mehr zu den tatsächlichen Geschäftsprozessen. Spannend ist jedoch, dass immer mehr Firmen den Weg zurück in den Standard suchen. Denn sie haben erkannt, dass sich hochangepasste, individualisierte Systeme auf Dauer nicht wirtschaftlich betreiben lassen und zum Hemmschuh werden für Agilität und Innovationen. Genau hier kommt unser Ansatz eines Workflow-basierten MES ins Spiel.

MM: Was verstehen Sie unter einem Workflow-basierten MES?
René Meevissen: Unsere Kunden denken und handeln rund um die Uhr in Prozessen und Workflows, insbesondere im Shopfloor. Mitunter sind es sogar die individuellen Geschäftsprozesse, die deutsche Unternehmen zu den berühmten Hidden Champions machen. Und genau dort, wo die Wertschöpfung hoch ist und jeder unnötige Handgriff eine Verschwendung bedeutet, muss auch die Software in der Lage sein, Änderungen an den Prozessen schnell zu folgen. Denn das ist ja ihre Aufgabe: die Unterstützung der Prozesse. Aber das muss eben auch im Standard möglich sein. Aus diesem Grund haben wir das Konzept „Everything is a workflow“ eingeführt.

MM: Welche Vorteile verspricht ein derartiges MES?
René Meevissen: Die Idee ist ganz einfach: Das MES liefert Unternehmen die notwendigen Werkzeuge, um Prozesse schnell und selbstständig anpassen zu können. Mit herkömmlichen Mitteln ist die Anpassung von Software an geänderte Geschäftsprozesse oft sehr aufwändig, teuer und ineffizient. Mitarbeiter empfinden die Anpassung oftmals eher als Hindernis, so dass es nach und nach zum Bruch zwischen den in der Software abgebildeten und den wirklich gelebten Prozessen kommt. In einem Workflow-basierten MES findet die Integration der Softwareprozesse in die Geschäftsprozesse wesentlich niederschwelliger statt. So können Geschäftsprozesse mittels BPMN-Notation in einem graphischen Werkzeug recht einfach selbstständig modelliert werden. Programmierkenntnisse sind hierfür nicht erforderlich. Das bedeutet auch, dass die seitenlangen Prozessbeschreibungen, die klassischerweise bei Anforderungen und Spezifikationen zwischen Kunden und Lieferant ausgetauscht werden, entfallen. Kunden und ihre Fachabteilungen können diese Workflows dann in Eigenregie zur Laufzeit ändern und intuitiv und schnell an veränderte Geschäftsprozesse anpassen, Ergebnisse bewerten und z. B. in typischen KVP-Prozessen sukzessive verbessern. Das gibt den Unternehmen völlig neue Möglichkeiten an die Hand.

MM: Welchen Einfluss hat ein Workflow-basiertes MES auf die Projektarbeit bzw. auf die Gestaltung der IT-Arbeit in den Unternehmen?
René Meevissen: IT-Abteilungen können sich hierdurch auf die systemseitigen Arbeiten konzentrieren. Dies ist auch zwingend nötig. Denn mit Themen wie Hochverfügbarkeit, Skalierbarkeit und insbesondere mit der Sicherheit der Systeme sind sie heute und in Zukunft ausreichend beschäftigt. Man kann folglich davon ausgehen, dass sie die Umsetzung von Prozessen der Fachabteilungen künftig ohnehin nicht mehr stemmen könnten. Doch genau das ist in vielen Unternehmen noch der Fall. Weil die Fachabteilungen hinsichtlich Kapazität, Formulierung, Umsetzung und Einführung von fachlichen Anforderungen nicht selten überfordert sind, übertragen sie diese Arbeiten an ihre IT-Abteilungen. Ein fehlendes, aber nötiges IT-Verständnis tut sein Übriges hinzu. Durch ein Workflow-basiertes MES können Fachabteilungen wirklich in ihren Prozessen denken und das System flexibel designen.

MM: Welche Auswirkungen zieht das nach sich?
René Meevissen: Sie können wesentlich unverkrampfter auch mal „experimentieren“, da sie Ideen kurzfristig in Workflows abbilden und sehr konkret prüfen können, ob die Änderung einen Vorteil bringt. Die Durchlaufzeiten üblicher Softwareanpassungen von Wochen und teils Monaten wird hier auf Stunden und teils Minuten heruntergebrochen. In der Softwareindustrie arbeiten wir immer häufiger mit agilen Methoden. Hier sind kurze Iterationen üblich, deren Ergebnisse schnell bewertet und entweder erhalten oder wieder verworfen werden. Genau das können mittels Workflows nun auch unsere Kunden. Diese agile Vorgehensweise verschafft einen erheblichen Vorteil, der mitunter sogar wettbewerbsentscheidend ist.

MM: Wie lassen sich bereits bestehende Systeme am besten mit einem Workflow-basierten MES integrieren?
René Meevissen: Das lässt sich am besten auch im Vergleich zum Status-quo beschreiben: Heute müssen Systeme oft mittels aufwändiger Schnittstellen und recht starrer Prozessbeschreibungen integriert werden. Das beansprucht viel Zeit, zumal den Beteiligten aus verschiedenen Gründen der volle Überblick über alle Parameter und Teilprozesse fehlt. Sind die Schnittstellen und neuen Systeme dann in die alte Welt integriert, beginnt ein zäher und langwieriger Prozess der Feinjustierung. Die Integration mit dem Workflow-basierten MES ist hingegen wirklich einfach und damit auch zeitgemäß: Über den generischen PSIbus und sogenannten Service-Tasks lassen sich die gewünschten Prozesse nämlich nicht nur sehr einfach modellieren, sondern auch implementieren. Die langwierigen Abläufe von GAP-Analyse, Anforderungsbeschreibung, Implementierung etc. sind schlicht nicht mehr nötig.

Rainer Huttenloher

PSI Automotive & Industry GmbH