Herausforderungen im Tagesgeschäft führen nicht selten auch zu handfesten Konflikten zwischen verschiedenen Fachabteilungen: Die Produktion kämpft mit zunehmend unzufriedenen Mitarbeitern an der Kapazitätsobergrenze und fordert daher vom Vertrieb verlässliche Absatzzahlen, um eine stabilere Einplanung von Ressourcen zu ermöglichen. Eine Lösung dieser Ausgangssituation verspricht der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Kernanwendungen. Dr. Daniel Gburek, Solution Manager Data & Analytics in der Cosmo Consult Group, erläutert im Interview mit dem Midrange Magazin (MM) die Vorteile dieses modernen Ansatzes.
MM: Warum werden sich KI-gestützte Anwendungen gegenüber den traditionellen Konzepten durchsetzen?
Gburek: Ausgehend von den Herausforderungen im „Daily Business“ haben wir komplexe Szenarien zu beherrschen: Große Artikelsortimente, schwankende Nachfragen und schnelle Märkte machen es dem Vertrieb in den meisten Fällen schier unmöglich, stets aktuelle, transparente und belastbare Planzahlen zu liefern. Die Disposition leidet auch: Ob Bestellungen zeitlich passend sind, die bestellte Menge richtig kalkuliert wurde, der Preis der günstigste ist und Lieferantenkonditionen bestmöglich ausgeschöpft wurden, weiß am Ende niemand. KI-gestützte Anwendungen helfen bei Entscheidungen und entlasten so die Mitarbeiter.
MM: Nach welchen Prinzip läuft das ab?
Gburek: Mathematische Algorithmen vergleichen tausende Parameter innerhalb von Sekunden und sind damit prädestiniert, Handlungsvorschläge zu berechnen, die definierte Zielvorgaben berücksichtigen und Konflikte minimieren. In der Konsequenz können Kapazitätsspitzen in der Produktion besser abgefedert, Bestell- und Lagerkosten gesenkt und die eigene Lieferfähigkeit gesteigert werden. Nicht zuletzt wird die operative Hektik in und zwischen Abteilungen verringert, was zu mehr Zufriedenheit in der Belegschaft beiträgt.
MM: Wie lässt sich den Anwenderunternehmen der Einsatz von KI-basierten Anwendungen schmackhaft machen?
Gburek: Ich würde die Frage gerne anders formulieren: Warum sind Anwenderunternehmen überhaupt abgeschreckt, oder gar ernüchtert, wenn die Vorteile auf der Hand liegen? Bei Gesprächen mit Kunden ist es häufig die größte Herausforderung, den Nutzen von KI handfest und konkret herauszuarbeiten. Der Begriff ist für viele schwammig und zu sehr mit Forschung und Entwicklung mit ungewissem Ausgang sowie großen Budgets assoziiert. Hinzukommen Medienberichte um gescheiterte Proof-of-Concepts, die es nie in eine produktive Nutzung geschafft haben, oder das mangelnde Vertrauen in die eigene Datenqualität. Außerdem lerne ich, dass Unternehmen häufig von den Herausforderungen des operativen Tagesgeschäfts getrieben werden und so die Zeit fehlt, sich mit dem Thema konzentriert auseinanderzusetzen. Mein Vorschlag daher: KI als Werkzeug begreifen, wie ein ERP-System oder eine Office-Anwendung von Microsoft 365, das ein konkretes Geschäftsproblem löst und den Stakeholdern einen klaren Mehrwert schafft. Das fördert den Ehrgeiz bei der Umsetzung, was wiederum den „Appetit“ anregt.
MM: In welchen Anwendungsbereichen bringen KI-Funktionalitäten den größten Vorteil?
Gburek: Das denkbare Einsatzspektrum für KI ist breit. Generische Abläufe im Finanz-, Lager- und Logistikumfeld profitieren meistens zuerst von maschineller Intelligenz. Das reicht von Vorschlägen für Bestellungen über das frühzeitige Erkennen von Engpässen in der Produktion oder von den „Lagerleichen“ bis hin zur Lieferantenbewertung. Prognostische Fähigkeiten für die Absatzplanung helfen dabei, Überraschungen zu vermeiden. Auch profitieren repetitive Aufgaben wie Lieferscheinabgleich und Rechnungsprüfung von KI-Entwicklungen im Bereich der Bilderkennung. Selbst Quittungen für die Spesenrechnung ordnen die Systeme automatisiert zu.
MM: Wo liegt nach Ihrer Erfahrung das größte Potenzial?
Gburek: Den größten Vorteil von KI-Funktionalitäten sehe ich in den Bereichen, die einen großen Einfluss darauf haben, wie man sich vom Wettbewerb abhebt. Hierbei denke ich an KI-Innovationen für die eigenen Produkte oder Dienstleistungen, um die Attraktivität für Kunden zu steigern. Als ERP-Anbieter setzt Cosmo Consult auf Intelligent ERP, iERP, wo gezielt eigene Branchenlösungen mit KI angereichert werden. Dies stärkt unseren USP. Ferner profitieren wir von unserem langjährigen Know-how, sodass unsere Software zielgerichtet mit neuen technologischen Möglichkeiten ergänzt wird. Und wenn plötzlich eine Branchenlösung in der Fertigung zusätzlich Kapazitätsengpässe identifiziert und Vorschläge bei der Planung von Fertigungsaufträgen macht, sagt selten ein Kunde „nein“ zu einer weiterentwickelten Lösung mit neuartigen Funktionalitäten.
MM: Wie lässt sich garantieren, dass die KI-basierten Lösungsansätze auch für die Anwender „nachvollziehbar“ bleiben?
Gburek: Ich bin der Überzeugung, dass neben den Kosten für die Software auch eine gewisse „Summe“ für die Mitnahme der Mitarbeiter eingeplant werden muss. Dies beginnt bereits bei der Konzeption einer KI-Anwendung, wo Herausforderungen der Stakeholder, intern wie extern, ernst genommen und berücksichtigt werden müssen. Manchmal entscheiden hier Kleinigkeiten wie die Darstellung prozesskritischer Kennzahlen oder Logging-Informationen des mathematischen Algorithmus über Nachvollziehbarkeit und schlussendlich Akzeptanz der Lösung. Auch Schulungen zur Interpretation von Daten und konsequente Weiterbildungsangebote helfen, Anwender zu Fans von KI-basierter Software und der damit einhergehenden Unternehmensstrategie zu machen.
MM: Wie können Unternehmen sicherstellen, dass KI-basierte Lösungen sich in ihre bestehenden Anwendungen integrieren lassen?
Gburek: Altsysteme sind auf technologischer Ebene wegen ihrer Veränderungsresistenz mit Abstand die größten Herausforderungen für unsere Kunden. Historisch gewachsene Anwendungen, die häufig unzureichend dokumentiert sind und nur veraltete Entwicklungsumgebungen bieten, stellen einen riesigen Kostenfaktor für ein modernes KI-Projekt dar. Neue Softwaresysteme sind dagegen offen konzipiert. Sie basieren auf dem Gedanken, Services und Apps einzubinden. Zudem stehen sie im Normalfall in der Cloud zur Verfügung, sodass sich Anforderungen an die Rechenleistungen und Speicherkapazitäten problemlos abbilden lassen. Kein Wunder also, dass Unternehmen mit aktuellen ERP-Softwareständen deutlich einfacher KI-Funktionalität nutzen können. So stehen bei Microsoft Dynamics 365 bereits von vornherein Schnittstellen zur Verfügung, über die sich KI-Services wie eine App bereitstellen lassen, sodass KI-Funktionalität ohne großen Aufwand eingesetzt und der Nutzen für das eigene Unternehmen kostengünstig evaluiert werden kann.
MM: Wie können Anbieter von KI-basierten Anwendungen ihren Kunden beim Umstieg auf diese neue Technologie helfen?
Gburek: Anbieter sollten ihren Kunden einen einfachen und risikofreien Einstieg bieten, sodass Möglichkeiten, Voraussetzungen und Risiken der neuen Technologie greifbar werden. Im iERP-Ansatz von Cosmo Consult steht der Plug&Play-Gedanke im Vordergrund: Im ersten Schritt wird ein Konnektor in das bestehende System installiert, der alle Daten, die eine KI benötigt, aus dem ERP in der Cloud bereitstellt. Um etwa eine Lageroptimierung in Betrieb zu nehmen, stellt er unter anderem historische Absatzzahlen, Artikelinformationen und Informationen zu Lager und Lieferanten bereit. Schließlich erfolgt eine erste Berechnung, deren Ergebnisse über den Konnektor in das ERP integriert werden, sodass Fachabteilungen den Mehrwert evaluieren können. Im Rahmen einer 30-tägigen Testphase kann das Unternehmen die Funktionalität im operativen Betrieb erproben. Erst dann geht die Nutzung in ein monatliches Bezahlmodell über – ohne zusätzliche Kosten etwa für IT, Sicherheit oder Skalierung. Gerade weil in diesem Ansatz kein Risiko mit der Nutzung von KI verbunden ist, können Unternehmen es sich leisten, einfach zu testen.
Rainer Huttenloher