Mehr Effizienz, Automatisierung, Bequemlichkeit: Es gibt kaum einen Lebensbereich, den Künstliche Intelligenz nicht auf die eine oder andere Weise revolutionieren soll. Und doch scheint der Weg zum wirklich autonomen Fahrzeug oder intelligenten Pflegeroboter noch immer weit. Das Midrange Magazin (MM) spricht mit Christian Leopoldseder vom ERP-Spe-zialisten Asseco Solutions über zu hohe Erwartungen und realistische Einsatzmöglichkeiten.

MM: Wie schätzen Sie die Entwicklung des Themas künstliche Intelligenz ein?

Leopoldseder: Sicher wird sich auch unsere Sichtweise auf KI mit der Zeit verändern, denn spiegelbildlich zu jeder Technologie entwickeln sich auch die Erwartungen daran kontinuierlich weiter. Oft ist das, was zunächst fehlt, ein realisierbares, sinnvolles Anwendungsszenario. In diesem Kontext ist Industrie 4.0 ein ganz wunderbares Beispiel. Als die Technologie aufkam, träumte die Branche von der vollständig autonomen Fabrik, von Werkstücken, die selbstständig den idealsten Weg durch die Fertigungsstraße finden. Als sich dies nicht ohne Weiteres realisieren ließ, wurde das Konzept überdacht. Heute steht meist der Predictive-Maintenance-Gedanke im Vordergrund. Er bezieht sich zwar nur auf einen Teilbereich der smarten Fabrik, lässt sich aber mit überschaubaren Mitteln umsetzen und bietet einen greifbaren Nutzen. Aus meiner Sicht ist dieser Prozess weniger eine Ernüchterung als eine natürliche Weiterentwicklung: Die technischen Möglichkeiten sowie die damit verbundenen Erwartungen nähern sich mit der Zeit immer besser aneinander an. Bei der KI wird dies nicht anders sein.

Christian Leopoldseder, Managing Director Austria bei Asseco Solutions Quelle Asseco Solutions

MM: Dann erwarten wir derzeit einfach noch zu viel von künstlicher Intelligenz?

Leopoldseder: Bezogen auf den heutigen Stand der Technik erwarten wir vielleicht zu viel zu schnell. Meist denken wir bei KI ja noch immer an Systeme, die einem menschlichen Gehirn nahezu äquivalent sind und genauso kreativ und flexibel auf Neues reagieren können. Gerade hier mangelt es jedoch an Anwendungsszenarien, die heute tatsächlich schon sinnvoll realisierbar wären. Natürlich hat KI zweifellos große Fortschritte gemacht. Man denke nur an die KI, die sich jüngst das japanische Brettspiel Go von Grund auf selbst beibrachte und menschliche Profis schlagen kann. Doch eine KI, die Go spielen kann, kann eben nur Go spielen. Stand heute ist KI auf Teilbereiche beschränkt. An diese Gegebenheit müssen wir unsere Erwartungen – wie auch bei Industrie 4.0 – anpassen und geeignete Szenarien entwickeln. Gerade im Bereich der Geschäftsprozesse etwa bestehen sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten, für die schon heute mit Hilfe von KI ein realer Nutzen generiert werden kann.

MM: Braucht es dazu wirklich KI?

Leopoldseder: Natürlich lassen sich viele bekannte Problemstellungen mit traditionellen Methoden völlig ausreichend lösen. Aus meiner Sicht gibt es jedoch zwei Voraussetzungen, unter denen der Einsatz von KI zwingend erforderlich ist: Zum einen, wenn es darum geht, bisher unbekannte Zusammenhänge zu entdecken. Zum anderen, wenn die schiere Menge der Faktoren die Leistungsfähigkeit bestehender Systeme übersteigt. Ein Beispiel: Möchte ein Unternehmen beispielsweise seine Lagerbestandshaltung optimieren, sehen sich die Verantwortlichen einer hohen Komplexität gegenüber. Die Dispodaten der Artikel werden nicht selten von hundert und mehr Parametern beeinflusst. Die möglichen Zusammenhänge potenzieren sich mit jedem Faktor. In solchen Fällen bedarf es tatsächlich KI, um völlig neue Systematiken zu finden, die durch klassische Analysen niemals hätten entwickelt werden können. Dass hier tatsächlich ein Mehrwert entsteht, zeigen erste Pilotprojekte: In einem konkreten Fall konnte der bisherige Lagerbestand durch KI um mehr als 20 Prozent reduziert werden.