Prozessorientierung ist aus der Industrie nicht mehr wegzudenken: In vielen Unternehmen ist es bereits üblich, bestehende Prozesse aufzunehmen und zu beschreiben oder auch Soll-Prozesse zu definieren. Häufig ist es jedoch so, dass es bei der Dokumentation bleibt. Im Gespräch mit dem Midrange Magazin (MM) verdeutlicht Elena Günzler, Produktmanagerin MES PSI Automotive & Industry, wie wichtig das Thema „Workflow-Basierung“ ist.

MM: Was verstehen Sie unter einem Workflow-basierten MES?

Günzler: Wenn wir von einem Workflow-basierten MES sprechen, gehen wir einen Schritt weiter. Prozesse werden dann wirklich in der Software als Teil der Lösung ausgeführt und sozusagen systemgestützt tagtäglich von den Mitarbeitern gelebt. Sie werden dadurch stabiler, denn keiner der Beteiligten kann einen Schritt vergessen. Alles ist transparent und nachvollziehbar in der Lösung hinterlegt.

MM: Wie sieht das „IoT“ aus?

Günzler: Workflows beschränken sich nicht auf den Menschen. Jedes Fabrikteil kann im „Internet of Things“ (IoT) Workflows auslösen. Wenn etwa ein Stück Material an einem bestimmten Abschnitt in der Fertigung von einem RFID-Scanner erfasst wird, so wird ein Workflow initiiert und beispielsweise festgelegt, welche Maschine mit welchen Vorsteinstellungen gestartet werden muss oder was der Werker als nächstes zu tun hat oder auch ob eine Buchung im ERP auszulösen ist. Jedes Ereignis im Unternehmen kann letztlich einen Workflow auslösen.

MM: Welche Vorteile verspricht der Einsatz eines Workflow-basierten MES?

Günzler: Mit dem Workflow-basierten MES stellen wir den Prozess ins Zentrum. Wir konzentrieren uns auf die Frage, welche Aktivitäten in welcher Reihenfolge stattfinden müssen und öffnen uns für weitere Systeme. Wir ermöglichen mit Workflows systemübergreifende Prozesse mit dem Unternehmensprozess samt allen Akteuren im Zentrum. Für kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) sind Workflows das ideale Mittel. Was bisher aufwendig per Coding in die Software implementiert werden musste, wird nun als Prozess standardisiert in BPMN beschrieben, modelliert und visualisiert. Im KVP-Meeting können Änderungen definiert und der Prozess direkt angepasst werden. Der Prozess kann sofort getestet und in die Produktion ausgerollt werden. Bei Abweichungen können die Stellen leicht identifiziert und nachjustiert werden. Wir vermeiden so Umwege und verkürzen die Zeit bis zum produktiven Einsatz.

MM: Welche zusätzlichen Aspekte sind dabei wichtig?

Günzler: Die Werkerführung in der Produktion ist ebenfalls integriert und in den modellierten Prozess eingebaut. Der Werker bekommt exakte Anweisungen, etwa ob er die Qualität abschätzen soll oder welches Teil an welcher Stelle einzubauen ist. Wenn der Prozess umgestellt wird, passt sich auch die Werkerführung automatisch an. Damit reduzieren wir den Einarbeitungsaufwand für neue Mitarbeiter oder für neue Prozesse massiv. Zudem werden Fehler vermieden, denn der Werker wird durch den Prozess geführt. Dazu ist es recht einfach, das MES schrittweise einzuführen bzw. bei Teilen der Produktion zu beginnen, denn Anpassungen sind schnell gemacht und für Teilbereiche ausgerollt. Das System kann nach und nach ausgebaut werden. Prozesse, Equipment und Stakeholder können so peu à peu eingebunden werden.

Elena Günzler, Produktmanagerin MES PSI Automotive & Industry: „Geschwindigkeit und die Anpassung an geänderte Bedingungen in der Produktion wie auch an den Markt sind heute extrem wichtig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit.“ – Quelle: PSI Automotive & Industry

MM: Wieso ist Wandlungsfähigkeit derzeit ein so großes Thema und wie hilft eine Workflow-basierte Systemarchitektur Unternehmen wandlungsfähig zu werden?

Günzler: Eine schnelle Anpassung an geänderte Bedingungen in der Produktion als auch an einen sich wandelnden Markt ist heute extrem wichtig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Software muss daher in der Lage sein, die Umsetzung von Änderungen mit der notwendigen Geschwindigkeit zu unterstützen. Änderungen können mit einem Workflow-basierten MES schneller vollzogen werden, denn Softwareanpassungen entfallen. Wenn sich die Rahmenbedingungen in der Produktion ändern – seien es neue Spezifikationen von Maschinen in Folge von Aufrüstungen, komplett neue Anlagen oder neue Anforderungen an die Qualität von Produkten – so passt sich der Prozess dynamisch und automatisch an, denn die Informationen werden sofort per Workflow abgegriffen. Daraus resultiert ein enormer Geschwindigkeitsvorteil und damit einhergehend ein höheres Maß an Wandlungsfähigkeit.

MM: Wie sollten MES und ERP-System im Kontext von Industrie 4.0 zusammenspielen?

Günzler: Systeme und Systemgrenzen treten dank Workflows in den Hintergrund, während der Prozess in den Vordergrund rückt. In der Realität von fertigenden Unternehmen waren diese Grenzen noch nie existent, denn auch dort laufen Prozesse zwischen verschiedenen Akteuren und Systemen ab. Wenn in der Vergangenheit im Rahmen eines Auftrags ein Teil verbaut wurde, musste dies per Schnittstelle vom MES ans ERP gemeldet werden. Welche Abläufe zu erledigen sind, musste bisher programmiert werden. Nun stellen die einzelnen Systeme nurmehr einzelne Funktionalitäten bereit, so dass weitere Systeme – auch von Drittanbietern – leicht eingebunden werden und wir alle Abläufe konsistent in einem Prozess modellieren und ablaufen lassen können. Drittapplikationen können dann außerdem zusammen mit PSI-Anwendungen aus einer Benutzeroberfläche heraus bedient werden. Im Hintergrund sind zwar vielleicht mehrere Systeme mit ihren Funktionalitäten beteiligt, der Anwender muss aber nur noch eine Benutzeroberfläche bedienen. Für den Nutzer ein großer Vorteil, denn Schnittstellen und Medienbrüche entfallen komplett.

MM: Wie können Applikationen von Drittherstellern in ein Workflow-basiertes MES eingebunden werden?

Günzler: Mit der neuen MES-Lösung verwenden wir den Standard BPMN zur Modellierung von Prozessen, sind damit offen gegenüber dem ERP sowie Drittanbietern und realisieren systemübergreifende Prozesse. BPMN ist ein Werkzeugkasten zur visuellen Darstellung von Prozessen, denn ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Anhand eines solchen Bildes von Abläufen kann sehr schnell nachvollzogen und erlernt werden, wie Prozesse laufen sollen. Dazu kommen Ausnahmen, wenn einmal etwas nicht so wie gewünscht läuft. Lücken können außerdem schnell erkannt und geschlossen werden. Einzelne Drittsysteme können ihre Funktionen als Bausteine in Form eines Webservice – etwa per REST-API – zur einfachen Einbindung in einen übergreifenden Workflow bereitstellen. Wenn die Systeme auf diese Weise Funktionsbausteine bereitstellen, können Prozesse über die Systemgrenzen hinweg gesteuert werden. Das Denken in Systemgrenzen wird zugunsten der tatsächlichen Arbeit an Prozessen aufgelöst.

MM: Welche Erwartungen verbinden Sie mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz im Bereich von Workflow-basierten MES-Lösungen?

Günzler: Der Einsatz von KI in Workflow-basierten MES eröffnet große Chancen. Das primäre Ansinnen ist natürlich eine gesteigerte Prozesssicherheit und das Verhindern von Fehlern. Aber auch bei der Steigerung der Effizienz versprechen wir uns viel. Heute unterstützen Workflows regelbasierte Prozessabläufe und deren Steuerung im Sinne von Entscheidungstabellen. Vordefinierte Regeln bestimmen mit Blick auf Bedingungen wie Maschinentyp oder Uhrzeit in welche Richtung der Workflow und damit der Prozess laufen soll. Zukünftig könnten KI-basierte Entscheidungen hinzutreten und in Workflows integriert werden. Das System würde selbst erkennen wie und nach welchen Regeln ein Prozess gut oder schlecht läuft. Wir befinden uns daher gerade im Übergang von Robot Process Automation (RPA) zu Cognitive Process Automation (CPA).

MM: Wie lassen sich Workflow-basierte MES-Lösungen schnell umsetzen?

Günzler: Agile Methoden bieten sich zur schnellen Umsetzung sehr gut an. Der Start erfolgt mit einer überschaubaren Aufgabe in einem Bereich der Produktion und wird in einem zwei- oder vierwöchigen SPRINT umgesetzt, also in einem für Software vergleichsweise kurzen Zeitraum. Nach und nach können weitere Prozesse ergänzt und integriert werden. Die bereits laufenden Prozesse sind jeweils nicht betroffen, denn deren Workflows bleiben unverändert. Fehler können also nicht ausstrahlen, während sich der Nutzen schneller als bei einer herkömmlichen Einführung einstellt.

MM: Welches Know-how benötigen die Anwenderunternehmen dazu und welche Rolle kann die PSI dabei übernehmen?

Günzler: Die Unternehmen haben das Know-how prinzipiell schon! Sie kennen ihre Prozesse und wie sie sich diese in Zukunft vorstellen. Die Umsetzung in BPMN müssen sie natürlich ggf. dazulernen. Doch die gute Nachricht ist: Der Einstieg gestaltet sich erfahrungsgemäß recht leicht. Mitarbeiter, die bereits mit Prozessen in Kontakt gekommen sind und ein bisschen Prozessverständnis erworben haben, können in BPMN modellierte Workflows meist sofort lesen. Diese Mitarbeiter kennen ihre Prozesse dazu sehr genau, ein Vorteil beim Modellieren. Das Modellierungstool umfasst mit Aktivitäten, Gateways und Ereignissen nur drei Gruppen von Symbolen und ist entsprechend einfach zu handhaben. Wir sehen Unternehmen daher gut gerüstet für diese Aufgabe. Dennoch ist es gerade am Anfang sinnvoll, sich von der eigenen IT oder den PSI-Experten beraten zu lassen, ob an alles gedacht wurde. Wir können als Branchenexperte mit unserem Know-how beim Einstieg in den BPMN-Standard helfen. Mit 50 Jahren Unternehmensgeschichte verfügen wir außerdem über ein großes Erfahrungswissen und beraten Kunden gerne bei der Prozessoptimierung.