Digitale Geschäftsmodelle und innovative Technologien wie KI verändern den Blick auf ERP-Systeme. Daniel Schmid, Chief Portfolio Officer der COSMO CONSULT Gruppe, spricht mit Midrange.de (MM) darüber, wie moderne ERP-Systeme und Cloud-Plattformen die Digitalisierung voranbringen können.

MM: Warum brauchen Digitalisierungsprojekte in Organisationen ein ERP-System als „Backbone“?
Schmid: Digitalisierung bedeutet in aller Regel eine Vielzahl an unterschiedlichen Projekten, mit denen verschiedene Unternehmensprozesse vernetzt und digital abgebildet werden. Für viele dieser Prozesse ist das ERP-System, das Waren und Werteflüsse verwaltet und steuert, ein zentraler Knotenpunkt. Im besten Fall stellt das ERP – gemeinsam mit einer unterliegenden Cloud-Plattform wie Microsoft Azure – also eine wichtige Ressource dar, damit nicht viele einzelne Projektinseln im Zuge der Digitalisierungsinitiative nebeneinander entstehen. Die Plattform versorgt als zentrale Datendrehscheibe und als Single Source of Truth, also die einzige Datenquelle, alle Vorhaben mit den relevanten Informationen: Der Erfolg der Digitalisierung steht und fällt schließlich mit der Datenqualität. Auch die Kommunikation zwischen den Prozessen lässt sich so standardisiert umsetzen und Mehrfachdatenerfassungen vermeiden.

MM: Warum wird der Plattformgedanke auch im ERP-Umfeld immer wichtiger?

Quelle: COSMO CONSULT

Daniel Schmid ist Chief Portfolio Officer bei der COSMO CONSULT Gruppe.

Schmid: Oft geht es um die Automatisierung und Verschlankung von Abläufen, um die Eliminierung manueller Zwischenschritte. Dabei kommt es auf eine zentrale Cloud-Plattform an, die unterschiedliche Werkzeuge für diese Aufgabe mitbringt. Auf der Microsoft Azure Plattform sind das beispielsweise Tools wie Power Apps oder Power Automate, die nach dem LowCode- oder NoCode-Prinzip funktionieren. Das heißt, dass für viele Anpassungen keine Programmierkenntnisse notwendig sind. Diese Werkzeuge vereinfachen die Entwicklung von Apps, die zum Beispiel individuelle Prozesse einfach mobil auf dem Smartphone oder Tablet verfügbar machen: Etwa die durchgängige Digitalisierung von Service- oder Wartungsprozessen im Feld. Eine solche Plattform sollte aber auch ein Master Data Management für die zentrale, redundanzfreie Verwaltung von Stammdaten und ein Zugriffsberechtigungskonzept auf Datenebene mitbringen. Zudem muss das ERP heute in der Lage sein, alle Welten, ob On-Premises, Private Cloud oder Public Cloud, online und offline, auf Basis von aktuellen Standards zu integrieren. Die einfache Integrationsfähigkeit mit vielen anderen Systemen über eine leicht bedienbare Oberfläche ist ein ganz zentraler Aspekt, um den aus der Vergangenheit bekannten Aufwand mit Schnittstellen zu vermeiden.

MM: Wie lassen sich Technologien wie KI und Machine Learning mit wenig Aufwand für intelligentes ERP nutzen?
Schmid: Mit Technologien wie Künstlicher Intelligenz und Machine Learning können sich Unternehmen heute stärker von ihrem Wettbewerb differenzieren, indem sie intern und für ihre Kunden Mehrwerte und Einsparpotenziale heben. Die Ergebnisse aus diesen Algorithmen möglichst einfach und schnell an die richtige Stelle im Prozess einbinden zu können, hat deshalb für Anwender eine hohe Priorität. KI und Machine Learning basieren auf einem umfangreichen Datenpool, wie beispielsweise einem Data Lake. Aus ERP-Sicht geht es in erster Linie darum, nahtlos Daten aus den intelligenten Analysetools zu empfangen, die aus Performancegründen immer außerhalb des ERP-Systems laufen. Das können zum Beispiel Schwellenwerte aus Sensoren sein, die bestimmte Events im ERP-System triggern, etwa ein Wartungsticket oder die rechtzeitige Nachbestellung von Ersatzteilen, deren baldiger Ausfall prognostiziert wurde. Zugleich muss sich das ERP-System öffnen und wiederum seine Daten für intelligente Anwendungen zur Verfügung stellen.

MM: Was sollte ein ERP-System für die KI-Integration mitbringen?
Schmid: Es sollte eine bidirektionale Schnittstelle mit stark parametrisierbarer Oberfläche mitbringen, um sich mit unterschiedlichen KI-Tools vernetzen zu können. Ein Analysedienst wie Azure Synapse hilft dabei, große Datenmengen zu verwalten und Werkzeuge zu unterstützen, die sich aus vielen unterschiedlichen Datentöpfen bedienen. Für KI-Algorithmen sind zeitweise erhebliche Cloud-Rechenkapazitäten notwendig, die automatisch allokiert werden. Die Verknüpfung von Datenquellen, zum Beispiel um im ERP einen optimalen Produktionsplan vorzuschlagen, ist oft komplex – da fließen Daten wie Materialverfügbarkeiten, Rohstoffpreise, Trends, Prognosen oder Wetterdaten ein. Gerade für KMU sind bei diesem komplexen Thema standardisierte Herangehensweisen hilfreich.

MM: Was spricht für die Cloud?
Schmid: Heutige ERP-Systeme sollten über die Grenzen von On-Premises in die Cloud integrierbar sein. Allerdings bringt Cloud-ERP die meisten Vorteile mit, darunter höchste Datensicherheitsstandards durch Verschlüsselung. In der Cloud sind alle Systeme zudem immer auf dem aktuellsten Stand, der Anwender muss keine Zeit mehr in Update und Wartung investieren. Die unterschiedlichen Digitalisierungsprojekte, die fast immer innovative, Cloud-basierte Technologien nutzen, lassen sich so auch deutlich einfacher integrieren. Bei On-Premises-Lösungen ist dafür in der Regel erheblich mehr Aufwand nötig. Optimalerweise nutzen ERP- und CRM-System, App-Entwicklungsumgebungen und intelligente Werkzeuge eine gemeinsame Cloud-Plattform, über die alle Komponenten miteinander „sprechen“. Unternehmen, die noch unschlüssig sind, würde ich dazu raten, den eigenen On-Prem-Maßanzug einzutauschen gegen Aktualität, schnelle und einfache Abbildung von End-to-End Prozessen über mehrere Systeme, ständig wachsende Funktionalität, bessere Performance und die hohe Sicherheit in der Cloud.

MM: Welche Rolle sollten kompetente Dienstleiter übernehmen können, um moderne ERP-Systeme optimal zum Einsatz zu bringen – und wie wichtig ist die Branchenkompetenz?
Schmid: Digitalisierung bedeutet, dass Unternehmen sich agiler ausrichten und immer wieder Prozesse und Geschäftsmodelle hinterfragen. Damit ist viel organisatorischer Veränderungsbedarf verbunden, bei dem IT-Dienstleister Unterstützung anbieten können sollten – vor allem mit Blick darauf, wie sich die Mitarbeitenden auf dem Weg mitnehmen lassen. Viele Wege führen nach Rom, die Cloud eröffnet noch mehr Potenzial und damit den Bedarf nach Orientierungshilfe. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch für ein bestimmtes Unternehmen sinnvoll. Neben der Auswahl der passenden Werkzeuge kommt es aber darauf an, nicht einfach nur einen bestehenden Prozess zu digitalisieren, sondern ihn intelligenter abzubilden. Das ist ohne Branchen-Know-how praktisch kaum möglich, denn Prozess- und Domänenkenntnisse werden gerade mit Blick auf Data Analytics immer entscheidender.

Rainer Huttenloher

COSMO CONSULT