Michael Wirt:

Sie sind den Anwendern des IBM Systems AS/400 bzw. der iSeries als ehemaliger Geschäftsführer eines erfolgreichen Software-Hauses heute noch in guter Erinnerung. Was haben Sie seit Ihrem ‚Ausstieg‘ in den letzten 11 Jahren gemacht und was hat sich in der IT-Branche besonders verändert?

Lutz Lunzer:

Als externer Partner bereite ich wichtige Entscheidungen für das Management auf. Dazu biete ich begleitende Recherchen an. ‚Erfolgreiches Verkaufen – und somit auch Einkaufen – von Software bzw. IT-Projekten‘ ist mein zentrales Thema. Das fängt bei der strategisch richtigen Positionierung eines Produkts an und hört bei Marketing- und Vertriebs-Kooperationen zwischen Software-Herstellern und -Vertreibern auf.

Zu Ihrer zweiten Frage. Geändert hat sich viel, zum Beispiel die kürzeren Produkt-Zyklen und ständig neuen Anwendungen, in die Produkte anderer Hersteller als Komponenten in zunehmender Hektik einfließen. Das spürt der Anwender durch nicht ausgereifte Produkte, Konkurse bzw. Übernahmen durch teilweise neue, auch ausländische Anbieter. Durch diese permanenten Innovationen sind die Probleme nicht kleiner, sondern eher größer geworden.

Michael Wirt:

Wenden wir uns zuerst den Anwendern zu. Was ist besser, was schlechter bzw. komplizierter geworden?

Lutz Lunzer:

Besser ist eindeutig die Transparenz geworden. Jeder Anwender erhält heute über spezielle Dienstleister – oder auch Verlage wie Ihrem – nicht nur die Namen der Anbieter, sondern auch in tabellarischer Form zusammen gestellte Inhalte.

Michael Wirt:

Damit ist den Anwendern doch schon viel geholfen.

Lutz Lunzer:

Ja, allerdings nur was die Inhalte der jeweiligen Anwendung auf Funktionsebene, nicht dagegen die betrieblichen Prozesse und die Aufbereitung der zu treffenden Entscheidung für den besten Anbieter betrifft. Hier stehen die Anwender vor denselben Problemen wie vor 11 Jahren; es werden nach wie vor grobe Fehler gemacht.

Michael Wirt:

Das liegt vielleicht daran, dass große IT-Projekte relativ selten angeschafft werden und die Beschaffung anders abläuft als bei Produkten, wie sie die Einkaufsabteilung normalerweise tätigt.

Lutz Lunzer:

Das ist richtig. Ob es an der fachlichen oder zeitlichen Überforderung oder auch beidem liegt, hängt vom jeweiligen Unternehmen ab. Es wird – wenn überhaupt – ein mehr oder weniger vorgefertigter Anforderungskatalog erstellt oder ein ‚neutraler Berater‘ damit beauftragt. Dies ist meines Erachtens nur der zweitbeste Weg.

Viele Anwender haben sich in der Methode zur Definition der Anforderungen an die Software sowie zur Entscheidungsfindung selbst weiter entwickelt. Entscheidungen werden nach wie vor ‚aus dem Bauch‘ getroffen, statt diese nach klaren internen Regeln und somit für alle nachvollziehbar aufzubereiten. Diese ‚Gefühlsentscheidungen‘ sind mit die Ursache, warum über 80 Prozent der IT-Projekte entweder teurer bzw. bestimmte Projektziele nicht erreicht werden – oder sogar das gesamte Projekt scheitert.

Michael Wirt:

Was wiederum die Anwender enttäuscht und demotiviert…

Lutz Lunzer:

Richtig, aber die Anwender sind teilweise selbst daran schuld. Denn sie sind es oft, die Entscheidungen manipulieren oder über Bord werfen, weil sie am liebsten bei den bisherigen Partnern bleiben würden. Und das nicht, weil dieser die beste Lösung hat, sondern weil sie sich an die bisher betreuenden Menschen gewöhnt haben.

Michael Wirt:

Wie sollte Ihrer Meinung nach der beste Anbieter gefunden werden?

Lutz Lunzer:

Zunächst gilt es, sämtliche Entscheidungskriterien zusammenzutragen. Das sind natürlich vordergründig die Module, aus denen sich die jeweilige Anwendung zusammen setzt, sowie deren wesentliche Funktionen. Dann sind es die ‚harten Kriterien‘ wie Unternehmensgröße, Anzahl der Kunden bzw. Installationen oder auch regionale Aspekte, nach denen die Anbieter ausgewählt werden sollen. Dies ist noch vergleichsweise einfach. Anders sieht es bei den ‚weichen Kriterien‘ und hier vor allem der Kundenorientierung eines Anbieters aus.

Michael Wirt:

Kundenorientierung – ein weiter Begriff. Was verstehen Sie darunter?

Lutz Lunzer:

Kundenorientierung als Bestandteil der Unternehmensphilosophie, bei der die Kunden zum Mittelpunkt des Handelns werden. Ein IT-Anbieter, der daraus seine Ziele definiert, wird zwangsläufig die permanente Verbesserung des Qualitätsmanagements oder auch das Wachstum auf ein vertretbares Maß begrenzen statt zu maximieren. Weiterhin wird er Maßnahmen entwickeln, alle Angestellten langfristig an das Unternehmen zu binden. Die Orientierung zum Kunden wird intern zur Orientierung zum Mitarbeiter. Das wichtige Ziel, die Investitionen ihrer Kunden über Jahre sicher zu stellen, wird durch Kunden- und Mitarbeiterorientierung automatisch erreicht.

Michael Wirt:

Das ist ein interessanter Aspekt. Was sind diese ‚weichen Faktoren‘ im Detail, wie werden sie ermittelt?

Lutz Lunzer:

Die Anwender sollten nicht gutgläubig, sondern kritischer sein. Gutgläubigkeit grenzt an Fahrlässigkeit. Es gibt wenig, was nicht hinterfragt, schriftlich protokolliert und dann in den Vertrag einfließen könnte. Das fängt bei der Befragung der (nicht genannten) Referenzen zu eingehaltenen bzw. überschrittenen Kosten und Zeiten an und hört auf bei Fragen zum Projektmanagement, der Zusammensetzung des Projektteams, dessen fachliche Kompetenz oder die Zugehörigkeit Einzelner zum Team bzw. dem Unternehmen. Daneben gibt es noch eine ganze Reihe wichtiger Fragen, wie z.B. die der Rechte an den in das Projekt eingebundenen Software-Modulen oder auch die Auslieferung der Source-Programme im Konkursfall bzw. bei Projektverzug.

Michael Wirt:

Erfordern die von Ihnen geschilderten Recherchen nicht relativ viel Zeit?

Lutz Lunzer:

Wie Sie es sagen: Der Aufwand ist relativ. Wie sieht denn die tägliche Praxis aus? Viele nicht autorisierte Anwender eines Unternehmens sprechen mit den falschen bzw. meist zu vielen Anbietern. Die Anbieter mit den aktivsten Verkäufern präsentieren telefonisch, persönlich oder schriftlich (über das Internet) ihre Lösung. Das geht über Monate. Irgendwann hat sich die Software seitens der Anbieter geändert, die Ansprechpartner und Anforderungen an die Software seitens der Anwender ebenfalls und das Ganze fängt von vorne an: Ein Kreislauf, bei dem sehr schnell Tausende von Euro zusammenkommen. Ich kenne Fälle, bei denen die Auswahl der Software weit über den eigentlichen Software-Kosten liegt. Werden dagegen nur wenige in der engeren Auswahl stehende Anbieter mit gezielten Fragen innerhalb einer kurzen Zeitspanne konfrontiert, werden Zeitbedarf, Kosten und Risiko auf ein Minimum reduziert.

Michael Wirt:

Sie meinen also, die Anwender sollten ihr Vorgehen systematisieren und die Entscheidung besser aufbereiten.

Lutz Lunzer:

Genau. Nach der Phase der Informationssammlung und Aufbereitung der Anforderungen wird ein Entscheidungsteam etabliert. Da es bei jeder Entscheidung um Machtverhältnisse geht, sollte jedes Team-Mitglied die Kompetenzen und somit die Interessen der anderen kennen. Als Nächstes sollten die Kriterien zur Entscheidungsfindung und die Gewichtungsfaktoren bestimmt werden. Denn mit der Gewichtung kann letztlich jede Entscheidung manipuliert werden. Sie sollte von den Team-Mitgliedern akzeptiert werden. Fällt eine Entscheidung dann entgegen den eigenen Vorstellungen, kann die-/derjenige nachvollziehen, warum sein Favorit – der kleine, große oder auch bisherige und bewährte Anbieter – nicht zur Abgabe eines Angebots aufgefordert wird oder nicht in die entscheidende Runde vordringt.

Michael Wirt:

Sie sprachen vorher von der Sicherung der geplanten Investition, auf das es den Anwendern letztlich ankommt. Ist es da nicht eine Alternative, sich von Anfang an auf den oder die Marktführer zu konzentrieren?

Lutz Lunzer:

Eine Alternative ist das, ja. Aber diese Anwender landen meistens bei den teuersten, und nicht zwangsläufig bei den sichersten Anbietern. Denken Sie an die vielen ‚Großen‘, die in der Vergangenheit aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus die Entwicklung eines Produkts eingestellt oder einen ganzen Geschäftszweig verkauft haben, der dann von dem neuen Anbieter nicht weiter verfolgt wurde.

Michael Wirt:

Was schlagen Sie dann konkret vor?

Lutz Lunzer:

Es gibt kein Rezept. Für jedes Projekt müssen die Kriterien erarbeitet werden. Der angeblichen Sicherheit, die großen Anbietern unterstellt wird, sollte die Kontinuität, das ‚Wachstum mit Augenmaß‘ und auch die Fachkunde der kleineren Anbieter gegenüber gestellt werden. Diese Mittelständler, die von den Empfehlungen ihrer Kunden leben und über Jahre langsam aber sicher ihren Kundenstamm aufbauen, ihre Mitarbeiter an das Unternehmen binden und eine geringe Fluktuation haben, verdienen es, auch bei größeren Projekten zum Angebot aufgefordert zu werden.

Meine Empfehlung ist, bei der Bewertung eines Anbieters vor allem auf dessen Kundenorientierung zu achten. Weiterhin sollte die Entwicklung des Unternehmens und dessen wirtschaftliche Situation überprüft werden. Denn wirtschaftliche Not zwingt zu unfairen Mitteln – ‚koste es, was es wolle‘. Anwender sollten die Anbieter belohnen, die ihnen klar sagen, dass zu vorgegebenen (Wunsch-) Zeiten und Kosten der Projekterfolg nicht gewährleistet werden kann, statt diese Ehrlichkeit durch Ausschluss aus der Ausschreibung zu bestrafen. Last, but not least sollten die Kosten vergleichbarer Projekte und hier vor allem die Folgekosten ermittelt werden.

Michael Wirt:

Herr Lunzer, ich bedanke mich für das Gespräch.

Lunzer Management-Partner Marketing und Vertriebscoaching

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