Thin Clients im Kontext von Unternehmensanwendungen sind nichts Neues – und dennoch: Ihr Nutzen hängt entscheidend von der Architektur der damit genutzten Applikationen sowie den jeweiligen Business-Anforderungen ab. Wer Thin Clients sagt, meint heute automatisch Internet. Denn die Vorzüge dieser Technologie – wie Standardisierung und universelle Verfügbarkeit – sind überwältigend. Ihre Nutzung auch im Rahmen von Unternehmensanwendungen wird gleichzeitig von einer beschleunigten Globalisierung vorangetrieben, welche die Flexibilisierung der Geschäftsprozesse und ihre Öffnung jenseits der Grenzen des eigenen Unternehmens erfordert. Da speziell der Mittelstand anders als Großkonzerne in der Regel nur begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen für IT-Projekte bereitstellen kann und will, muss die Internet-Technologie im Rahmen von konkreten Anwendungen immer auch ihren betriebswirtschaftlichen Nutzen nachweisen.

Internet-fähig vs. Internet-basierend

Die Aufgabe, eine komplett Internet-basierende Unternehmens-Software zu bauen, ist nicht trivial. Bei ERP-Lösungen herkömmlicher Prägung kann man nicht einfach einzelne Funktionsbausteine herausgreifen und im Web zur Verfügung stellen. Dazu muss man sie komplett neu programmieren. Die Anwendungslogik ist hier durchgängig in einer Internet-kompatiblen Programmiersprache geschrieben und auf dem Server beheimatet; Web-Server und Applikations-Server müssen eine Einheit bilden. Der hierfür genutzte Client darf aber nicht „thin“ im Sinne funktionaler Einschränkungen sein, sondern muss Desktop-Qualität aufweisen. Rich Thin Client heißt das Konzept, das die Hersteller in zwei Lager spaltet. Die einen lassen Fat Clients auf die Internet-basierende Unternehmens-Software zugreifen, was aber immer das Herunterladen und Installieren zusätzlicher Software bedingt. Die andere Gruppe hebt die funktionalen Defizite des Browsers auf Seiten des Servers auf, sicherlich die elegantere Lösung, weil kein zusätzlicher Code auf dem Client verwaltet werden muss.

Die Mehrzahl der Anbieter von Unternehmensanwendungen hat indes den Weg der Internet-fähigen Lösungen eingeschlagen. Im Kern heißt das, dass über die unveränderte Lösungsarchitektur eine zusätzliche Infrastrukturschicht eingezogen wird, über die Funktionen dann auch im Web zur Verfügung gestellt werden können. Dabei genießt der Ansatz, eine Unternehmensapplikation mit Client-Server-Erbe über den Einsatz eines modernen Applikations-Servers und einen zusätzlichen Web-Server webfähig zu machen, den Vorzug. Der Applikations-Server hält Teile der Business-Logik vor, die in Programmiersprachen wie Java neu geschrieben wurden. Thin Client ist auch hier der Browser, dessen funktionale Einschränkungen teilweise aufgehoben werden. Auch die Skalierbarkeit lässt sich in dieser Welt gewährleisten. Allerdings entsteht gegenüber einem rein Internet-basierenden Architekturansatz zusätzlicher Administrationsaufwand und höhere Anpassungskosten, weil in der Regel mehrere verschiedene Programmiersprachen verwendet werden, sowie die Notwendigkeit, zusätzliches IT-Know-how aufzubauen oder einzukaufen. Noch gravierender allerdings sind die Performanzeinbußen, weil die zahlreichen Prozess- und Thread-Wechsel auf den verschiedenen Ebenen dieser Architektur zum Teil erhebliche Latenzzeiten hervorrufen. Das ist der evolutionäre Ansatz, den zurzeit etwa viele namhafte ERP-Hersteller wählen, um ihre Anwendungslogik sukzessive ins Internet-Zeitalter zu portieren.

Politik der kleinen Schritte?

Der Anwender hat die Wahl, ob er der Politik der kleinen Schritte der Anbieter Internet-fähiger Unternehmens-Software folgt oder auf Internet-basierende Lösungen setzt. Darüber und über die Frage, welcher Rich Thin Client-Variante er den Vorzug geben soll, entscheiden letztlich die Business-Anforderungen.

Fachautor: Reinhold Karner