Der amerikanische Konzern Agilisys agiert mit Wirkung zum 6. September jetzt als Infor Global Solutions und hat mit IncoDev ein weiteres Unternehmen übernommen. Gleichzeitig geht nach dem Richterspruch, mit dem das Antitrust-Verfahren zugunsten von Oracle entschieden wurde, die feindliche Übernahme von PeopleSoft durch Oracle in die nächste Runde. Microsoft und SAP arbeiten derweil an der Runderneuerung ihrer Business Solutions. eNEWS sprach mit Heinz-Paul Bonn, Vorstandsvorsitzender der GUS Group, über die aktuellen Entwicklungen im ERP-Markt – hier Auszüge aus diesem Interview. eNEWS:Wohin wird die gegenwärtige Konzentrationswelle im ERP-Markt führen?
Heinz-Paul Bonn: Zwei Strömungen sind meiner Meinung nach zu erkennen. Zum einen kämpfen die großen Anbieter wie Microsoft und SAP – übrigens mal miteinander, mal gegeneinander – um die vorherrschende Anwendungsarchitektur für Unternehmenslösungen. Gleichzeitig gibt es technologische Lager wie beispielsweise Microsofts Dot.Net oder aber Java. Und als zweite Strömung identifiziere ich die zunehmende Spezialisierung. Als ERP-Vollsortimenter, der alle Branchen in allen Ländern der Erde unterstützt, ist sehr viel Marktmacht notwendig, die in absehbarer Zeit nur von einer Handvoll von Anbietern aufgebracht werden kann. Dagegen stehen aber Spezialisten, die sich mit detailliertem Branchen-Know-how und Best Practices weiterhin gegen dieses Oligopol behaupten können. Diese ERP-Spezialisten wird es immer geben.
eNEWS:Warum wird der ERP-Markt gegenwärtig so durchgeschüttelt?
Heinz-Paul Bonn: Enterprise Resource Planning feiert gegenwärtig eindeutig ein Comeback. ERP ist wieder ein Markt, in dem die Anbieter von Standardlösungen wie auch die Implementierungspartner und Berater wieder Geld verdienen können. Dies hat zum einen seine Ursache in der wachsenden Bedeutung von unternehmensübergreifenden Geschäftsprozessen, die sich nicht nur entlang der Lieferkette abspielen, sondern – und das gilt in zunehmenden Maße auch für den Mittelstand – auch zwischen Tochtergesellschaften und internationalen Niederlassungen eines Unternehmens. In ERP-Projekte fließen aus der Anwendungssicht aber zugleich auch Aufgaben – wie Enterprise Application Integration, Business Intelligence, Customer Relationship Management, e-Commerce und IT-Sicherheit – mit ein. Deshalb beschäftigen sich immer mehr Unternehmen gegenwärtig mit der Frage, ob die installierten Systeme diesen erweiterten Anforderungen mittelfristig noch gewachsen sein werden. Und nicht zuletzt führt die aktuelle Wirtschaftslage zu einem anhaltenden Interesse an Kostensenkung durch Geschäftsprozessoptimierung. Und auch hier zeigt sich, dass viele Unternehmen in ihrer Handlungsfreiheit durch die starren ERP-Systeme eingeschränkt werden.
eNEWS:Wirkt sich das denn bereits in Zahlen für die Branche aus?
Heinz-Paul Bonn: Ja. Nach den Berechnungen des Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) wird die ITK-Industrie im laufenden Jahr einen Umsatzanstieg um 2,5 Prozent auf 132 Milliarden Euro erzielen. Für 2005 geht der Verband inzwischen von einem Umsatzplus von 3,7 Prozent aus. Im Jahr 2006 könnten dann sogar fünf Prozent erreicht werden. Zwar sind die Wachstumstreiber derzeit vor allem Mobilfunkunternehmen, neue Unternehmen und digitale Konsumelektronik. Aber nach der jüngsten Branchen-Umfrage des BITKOM berichtete fast jedes zweite Unternehmen über steigende Auftragseingänge aus dem In- und Ausland. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) erwarten im laufenden Jahr einen Umsatzanstieg. Mit einem Minus rechnet inzwischen nur noch jeder fünfte IT-Betrieb (21 Prozent). Auch der Bereich Software und IT-Service legt zu.
eNEWS:Welche Auswirkungen hat die Konzentration der ERP-Anbieter auf den iSeries-Markt?
Heinz-Paul Bonn: Auf dem internationalen iSeries-Markt hat nach wie vor die Übernahme von J.D.Edwards durch PeopleSoft und deren geplante Übernahme durch Oracle nachhaltige Auswirkungen. Sollte Oracle mit der Übernahme erfolgreich sein, werden sich zwei namhafte ERP-Anbieter im iSeries-Markt mittelfristig von der reinen Ausrichtung auf die iSeries und damit auf DB2 als Datenbank wegorientieren. Es sind aber nach wie vor die Anwendungen, die den Markt für iSeries antreiben, und immerhin war JDE IBMs größter ISV-Partner im iSeries-Markt. IBM hat erkannt, dass sie weiterhin und jetzt wieder verstärkt unabhängige Software-Häuser davon überzeugen muss, die Anwendungen für die iSeries bereit zu halten.
IBM ergänzt also offensichtlich ihre technische Offensive mit der Ankündigung der i5-Server-Modelle um eine Anwendungsoffensive für diese Rechnerwelt. Ein Beispiel: Wie Gerüchte jetzt besagen, hat IBM bei Orientierungsgesprächen zwischen dem Systemhaus Avenet und PeopleSoft Pate gestanden, um hier das Lösungsgeschäft aus ERP-Paket, iSeries und Systemintegration weiter voranzutreiben. Denn nur mit einem integrierten Lösungsangebot aus System und Software kann das Geschäft mit der iSeries neuen Schwung erhalten.
eNEWS:Und außerhalb der iSeries-Welt?
Heinz-Paul Bonn: Ganz grundsätzlich sorgen die gegenwärtigen heftigen Marktbewegungen für Verunsicherung bei den Anwendern. Wer sich für ERP-Systeme entscheidet, richtet sich auf eine langjährige Partnerschaft mit dem Lieferanten oder Implementierungshaus ein. Deshalb gehören die Betrachtungen zur Überlebensperspektive eines Produkts und seines Herstellers längst ebenso zum Entscheidungsportfolio wie Pflichtenhefte, die Branchenkompetenz und die Flexibilität der Software.
Ich erlebe diese Verunsicherung bei den Anwendern in aktuellen ERP-Situationen ganz deutlich. Anwender sagen mir, dass für sie nicht mehr zu erkennen sei, wohin sich die Produkte nach derartigen Firmenzusammenschlüssen entwickeln werden. Und es bestehen durchaus Zweifel, weil die Integration unterschiedlich entstandener ERP-Welten auch in der Vergangenheit schon alles andere als reibungslos verlaufen ist.
Die GUS Group ist in ihren Kernbranchen, den Life Science Industrien, damit über ihre Branchenkompetenz hinaus weiter interessant. Aber wir sind auch für neue Partnerschaften interessant, weil wir mit unserer Lösungswelt offener und flexibler sind und uns auch in andere Architekturen einbinden können.
Heinz-Paul Bonn, Vorstandsvorsitzender der GUS GROUP