Das Thema künstliche Intelligenz (KI) wird gerne als Zukunftstechnologie bezeichnet. Doch mittlerweile ist sie in der Praxis angekommen und stellt tagtäglich ihren Nutzen unter Beweis. Diese Aussage untermauert Gerrit Schiller, Vorstand bei der COSMO CONSULT Gruppe, System- und IT-Beratungsspezialist sowie Microsoft-Partner, im Interview mit dem Midrange Magazin (MM).

MM: Was verstehen Sie unter dem Begriff „Intelligent ERP“?

Gerrit Schiller: Betrachten wir folgende Situation: In der Fertigung produziert ihr Unternehmen in vielen einzelnen Arbeitsschritten. Ihre Produktion ist voll ausgelastet. Die Herausforderung: Wie dem Kunden einen verlässlichen Liefertermin zusagen und wie Durchlaufzeiten optimieren, so dass Lieferverträge eingehalten werden? Anders als klassische ERP-Lösungen umfassen intelligente ERP-Systeme zusätzliche intelligente Assistenten, die Anwender in die Lage versetzen, die Zukunft proaktiv zu planen und Prozesse zielgerichtet zu optimieren.

MM: Wie können KI-Funktionalitäten eine ERP-Lösung verbessern?

Gerrit Schiller: Zu den bekanntesten Einsatzgebieten von KI im ERP-Umfeld gehört die automatische Eingangsbearbeitung von Rechnungen oder Spesenbelegen. In den Kernprozessen sind KI und intelligente Assistenten jedoch nur selten anzutreffen. Dabei könnten sie gerade hier helfen, den Absatz zu prognostizieren, Lagerbestände zu optimieren oder ideale Produktionsreihenfolgen zu ermitteln. Bei komplexen Optimierungsaufgaben liefern ERP-Systeme zwar Daten, aber keine Empfehlungen. Vor allem konkurrierende Ziele wie Zeit, Kosten und Qualität erfordern Assistenten, die Empfehlungen berechnen, mit denen sich Konflikte minimieren lassen.

Gerrit Schiller, Vorstand der COSMO CONSULT Gruppe: „Aus technologischer Sicht ist ein intelligenter Assistent ein Cloud-Dienst, der über einen Konnektor ins ERP-System integriert ist.“ Quelle: COSMO CONSULT

MM: Wird die Entscheidungsgewalt in die Hand der KI gelegt?

Gerrit Schiller: Nein, der Mensch bleibt nach wie vor am Hebel. Vielmehr gestaltet sich durch KI die Entscheidungsfindung nachvollziehbarer und transparenter. Bei der Entscheidung, welche Mengen von welchem Produkt zu welchem Zeitpunkt bestellt werden sollen, verlassen sich Beschaffungsmanager häufig ausschließlich auf ihre Erfahrung und ihr Bauchgefühl. Komplexe und dynamische Marktbedingungen steigern jedoch das Risiko, falsche Entscheidungen zu treffen. Der Einsatz von KI kann subjektive Entscheidungen auf der Grundlage mathematischer Berechnungen stützen. Außerdem haben mathematische Prognosen keine Vorurteile. Wir Menschen tendieren dazu, aktuelle Ereignisse stärker zu gewichten oder nur auf besondere Ereignisse zu achten. Dadurch übersehen wir häufig Muster, die man mit mathematischen Modellen sehr wohl erkennen kann.

MM: Was ist beim Einsatz von KI-Technik im ERP-Umfeld zu beachten?

Gerrit Schiller: Erfahrungen berücksichtigen und Vertrauen schaffen. Softwaregestützte, intelligente Entscheidungen basieren nicht nur auf Formeln, sondern auch auf den Erfahrungen der Mitarbeiter. Schließlich sind es vor allem die Mitarbeiter, die sehr genau wissen, welche Lieferanten unzuverlässig sind oder wie lange es dauert, eine bestimmte Produktionsmaschine umzurüsten. Die in der Praxis häufig vorkommende Divergenz zwischen den Empfehlungen der Unternehmenssoftware und den Erfahrungswerten der Nutzer lässt sich nur auflösen, wenn man Formeln und Wissen vereint: Nur wenn man Modelle gemeinsam testet, lässt sich sicherstellen, dass betriebliche Besonderheiten und Firmenwissen auch tatsächlich einfließen. In der Folge fällt es den Mitarbeitern leichter, der Software und dem damit verknüpften mathematischen Modell zu vertrauen.

MM: Welche Rolle spielt die Cloud für ihr intelligentes ERP?

Gerrit Schiller: Aus technologischer Sicht ist ein intelligenter Assistent ein Cloud-Dienst, der über einen Konnektor ins ERP-System integriert ist, welcher dabei einen sicheren Datenaustausch gewährleistet. Über die Cloud lässt sich Rechenleistung bedarfsorientiert bereitstellen. IT-Komplexität wird so in die Cloud ausgelagert und die Kunden profitieren von geringen initialen Investitionskosten und einer schnellen Bereitstellung.