In der Schweiz wird, wie Marktstudien belegen, ungebrochen in die betriebliche Nutzung des Internets investiert. Ungeachtet teils spektakulärer Pleiten von früheren Web-Projekten entwickeln sich e-Commerce und e-Government kräftig weiter und die neuen Handels- und Kundenstrategien im Web sind ein zentrales Thema der kommenden iEX Internet Expo 2002 in Zürich. Die Zahl der Internetnutzer steigt in der Schweiz munter weiter: Die neuesten Zahlen der WEMF (AG für Werbemedienforschung) belegen, dass sich bereits annähernd die Hälfte der Bevölkerung regelmässig im Netz der Netze tummelt. 60 Prozent davon haben Erfahrung mit e-Commerce. In einer neuen Studie des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität Bern nutzen zudem bereits alle befragten Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern das Internet aktiv. Sogar bei den Firmen mit 5 bis 9 Mitarbeitern, die insgesamt die geringste Webnutzung aufweisen, sind es immerhin noch 73 Prozent. Zumindest in Europa ist die Schweiz damit auf dem Sprung, einen Spitzenplatz einzunehmen.
Zweierlei ist indes heute klar: Hinter der kommerziellen Nutzung des Internets steht mehr als HTML-Code und ein Server. e-Commerce verlangt neben einer schlagkräftigen e-Business-Mannschaft vor allem auch eine starke Logistikorganisation, um die Kundenwünsche einzulösen. Zudem kommen die traditionellen ERP-Informatiksysteme zu neuen Ehren, denn die Unternehmen müssen die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden kennen – um Käufer und Interessenten bei der Stange zu halten, muss man in der Lage sein, Angebote und Kundeninformationen zu personalisieren. Diese Lektion mussten viele Firmen erst lernen.
Multichannel-Strategie
Die teilweise schmerzhaften Erfahrungen mit frühen e-Commerce-Projekten haben nun zu einer realistischeren und damit langfristig aussichtsreicheren Betrachtung des Internet-Einsatzes im Handel geführt. So werden heute die Vorteile der Filialsysteme konventioneller Detailhändler – eingespielte Logistik, Kundenkontakte, Branchenkenntnis – neu entdeckt, um sie mit den Stärken der Internet-Anbieter – Technologiekenntnisse, Innovationskraft, Schnelligkeit, grosse Reichweite – zu paaren. Was dabei entstand, bezeichnen die Amerikaner als „Bricks and Clicks“ oder etwas euphorisch als Verschmelzung von Old und New Economy.
Jedenfalls haben die Unternehmen gemerkt, dass mehr Kunden als angenommen trotz Informationen im Netz nicht auf eine persönliche Beratung verzichten wollen. Das gilt ganz besonders dort, wo die Vertrauensbasis für das Geschäft entscheidend ist. So mussten die reinen Internet-Projekte der Banken Bär und Vontobel aufgegeben werden. Die Grossbanken hingegen verbinden ihre Internet-Plattformen erfolgreich mit den vorhandenen Filialen. Ähnliches gilt für den elektronischen Detailhandel. Das Rezept heisst Multi-Channel-Strategie und gilt im gesamten Endkundenbereich als das einzig erfolgversprechende.
Zudem müssen die Websites einfach sein: Das Marktforschungsunternehmen IDC untersuchte in seinem „eWorld 2001 Survey“ die Gründe, weshalb die Online-Umsätze bei manchen Firmen sprudeln, bei anderen hingegen eher vor sich hinplätschern. Das Fazit: Je einfacher die Funktionen auf einer Site sind, je mehr sich der Kunde dort „zuhause“ fühlt und je einfacher die Bezahlung funktioniert, desto höher sind die Umsätze.
Dass die Schweizer in dieser Beziehung nicht schlecht dastehen, beweist der gesamteuropäische e-Shop-Award des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, der 2002 zum dritten Mal vergeben wird. Man darf gespannt sein, welche e-Selling-Sites Jury und Benutzer auszeichnen werden. Die Preisverleihung erfolgt 2002 erstmals im Rahmen der iEX.
B2B: Konsolidierung
Eine Wandlung durchläuft auch der B2B-Bereich, wo nach der ersten Euphorie mehr und mehr Marktplätze in Schwierigkeiten gerieten. Zwar macht die direkte Verbindung von Firmenkunden und Lieferanten im Internet nach wie vor sehr viel Sinn, nach Meinung der Marktforscher werden gleichwohl von den derzeit etwa 1000 Internet-Marktplätzen in den USA bis 2005 weniger als ein Viertel überleben.
Ein Beispiel aus unseren Breiten ist das KMU-Internetportal Plenaxx, das gerade mal sechs Monate nach seinem Start wieder schliessen musste. Die Begeisterung bei den angepeilten Unternehmen hielt sich in Grenzen. Der hohe Fixkostenanteil und die eher dürftige Funktionalität konnten die Erwartungen nicht erfüllen. Da halfen auch die starken Finanzpartner aus der Schweizer Wirtschaft wenig.
Mit dieser Huhn-und-Ei-Problematik sind die meisten elektronischen Marktplätze in ihrer ersten Entwicklungsphase konfrontiert, wie Diana Rätz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftsinformatik der Uni Bern, kürzlich in der NZZ ausführte: Einerseits müssen die B2B-Märkte beweisen, dass sie einen wirtschaftlichen Wert schaffen. Die Voraussetzung dazu ist ein hohes Transaktionsvolumen. Dieses kann jedoch nur erreicht werden, wenn sowohl Anbieter als auch Nachfragende bereit sind, in die Integration ihrer Systeme und Prozessanpassungen zu investieren. Ohne Hoffnung auf wirtschaftliche Vorteile wird sich aber niemand engagieren. Und dem steht in der Anfangsphase wiederum die kleine Beteiligung entgegen.
Die Gründer vertikaler Marktplätze können deshalb mit umso mehr Erfolg rechnen, je gewichtiger ihr Einfluss auf die Marktsituation (etwa durch eigene Nachfrage in entsprechender Grösse) und je grösser ihre Branchenkenntnis ist. Bezeichnenderweise sind es denn auch sehr oft Industriekonsortien, welche die Marktplätze aufbauen.
Das Thema dürfte noch an Bedeutung gewinnen. Laut Forrester Research ist die Zahl der Organisationen, die mit ihren Lieferanten über das Internet zusammenarbeiten, allein im dritten Quartal 2001 von 43,6 auf 49,5 Prozent gestiegen. Immer mehr werden sich die Marktplätze allerdings von eigenständigen Organisationen zu einem ins Unternehmen integrierten Gebilde entwickeln. So meint Bruce Temkin von Forrester Research: „Wir beobachten bei den Online-Aktivitäten das Aufkommen einer zweiten Welle, wo die Käufer ihr Verhältnis zu den Lieferanten über das Netz neu definieren.“ Der digitale Marktplatz entwickelt sich zu einem Angelpunkt für die gesamten Material-, Informations- und Finanzflüsse des Unternehmens.
Gemeinden gehen online
Und was in der Wirtschaft erfolgreich ist, macht vor der Politik nicht halt. Unter dem Stichwort „New Public Management“ bekommt der Kundendienst bei den öffentlichen Institutionen einen neuen Stellenwert. Von den Gemeinden wird verlangt, alles Beamtengehabe zu vergessen, auf die Bürger zuzugehen und die Türen jederzeit offen zu halten. Das Internet bietet sich dafür als ideales Instrument an.
e-Government, wie der Kontakt zwischen Staat und Bürger über das Internet genannt wird, hat das Ziel, den Verkehr mit den Behörden ähnlich direkt zu gestalten wie etwa mit den Banken beim Online-Banking. So können nicht zuletzt auch die Verwaltungsabläufe vereinfacht werden.
Dabei stehen die Ansprüche sowohl der Bürger wie der Gemeinden an eine Website nicht hinter dem kommerziellen Bereich zurück: Die Anwender erwarten einen aktuellen, grafisch ansprechenden Auftritt. Die Gemeinde anderseits möchte mit interaktiven Angeboten und Transaktionen für ihre Einwohner einen auch ausserhalb der Bürozeiten offenen Online-Schalter führen.
In der Praxis gibt es allerdings bisher erhebliche Unterschiede. Manchmal können bloss Papierformulare bestellt werden – ein Online-Schalter sollte aber wohl zumindest das Herunterladen von Formularen und das Online-Ausfüllen erlauben. Mit anderen Worten: Auch hier sind Schnittstellen gefordert, die – meist auf XML-Basis – direkt in die Verwaltungssysteme hineinführen.
Die Haupthindernisse sind jedoch vorerst juristischer Natur. Bis 2002 sollen die Bundesgesetze über die elektronische Signatur und über den elektronischen Geschäftsverkehr in Kraft sein, womit erste gesetzliche Grundlagen für das e-Government geschaffen wären. Doch seit der Einstellung von Swisskey fehlt ein Anbieter für elektronische Zertifikate, mit dem sich die Bürger im Verkehr mit Behörden sicher identifizieren können. Die Ausgabe solcher Zertifikate, sei es durch eine private Organisation oder durch eine staatliche Stelle, dürfte die Behörden noch länger beschäftigen. Im Internet wird immerhin seit Anfang Oktober der im Auftrag von Bundesrat Villiger erarbeitete Entwurf für die „eGovernment-Strategie des Bundes“ (www.isb.admin.ch/egov) zur Diskussion gestellt.
Unterdessen setzt sich der Trend zum e-Government auf Gemeindeebene fort. Noch vor zwei Jahren lag die Schweiz bezüglich Gemeinde-Sites deutlich hinter den USA und Skandinavien zurück – heute brauchen manche von ihnen den internationalen Vergleich nicht mehr zu scheuen. Und das ist wohl erst der Anfang: Denn auch politische Online-Information wird erst dann interessant, wenn sie flexibel und gut verlinkt abgerufen werden kann.