Es gibt einen guten alten Spruch: Ein Kaufmann sollte am Ende des Tages wissen, ob er unter dem Strich Geld verdient oder vernichtet hat. Das klingt einleuchtend und erscheint auf den ersten Blick auch einfach verständlich. Nur, in der Praxis wird uns der Blick auf das einfach Verständliche oftmals verstellt. Wir können zwar die täglichen Ein- und Auszahlungen gegeneinanderrechnen und sehen, was übrig bleibt. Und das sollten wir auch tun. Wir können jeden Monat die betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) studieren. Und auch das sollten wir tun. Aber die Erfahrung lehrt schnell, dass diese simplen Rechnungen nicht reichen.
Das beginnt schon damit, dass nicht jeder Kunde pünktlich zahlt. Dann haben wir zwar Einnahmen verbucht aber wir sitzen auf unseren Forderungen und warten auf unser Geld. Mitunter lösen wir dabei entstehende Liquiditätsprobleme dadurch, dass eingehende Rechnungen auch erst verspätet bezahlt werden. Dann verbuchen wir zwar Ausgaben, ohne dass zugleich unser Geldbeutel belastet wird. Allerdings belasten wir auf diese Weise unsere Glaubwürdigkeit. Und Glaubwürdigkeit – sei es gegenüber den Kunden, den Mitarbeitern, den Lieferanten und Partnern oder den Banken – ist und bleibt die erste Grundlage jeden Geschäfts. Nicht von ungefähr ist Treu und Glauben einer der essenziellen Rechtsgrundsätze vor allem unter Kaufleuten. Und auch sprachlich haben Glaubwürdigkeit und Kreditwürdigkeit denselben Ursprung. Das sollten wir nicht ohne Not infrage stellen.
Nun gibt es darüber hinaus im normalen Geschäftsprozess weitere vielfältige Gründe für das Auseinanderfallen von Leistungserstellung und Geldströmen. Wir legen z.B. nicht immer zeitnah zur Fertigstellung abrechnungsfähiger Leistungen auch Rechnung. Dann haben wir zwar die Aufwendungen zu bezahlen, aber nicht einmal eine Forderung in der Hand. Das setzt sich fort in dem Tatbestand, dass Kundenanforderungen und Erfordernisse der Kapazitätsauslastung selten übereinstimmen. Diese Diskrepanzen überbrücken wir meist durch den Aufbau von Lagerbeständen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen. Die Erhöhung von Lagerbeständen verbuchen wir wie Erträge, obwohl sie uns nicht einen Cent an Geld einbringen aber viele Euro kosten. Geld fließt uns erst dann zu wenn es uns gelingt, die Erzeugnisse bzw. Leistungen in solchem Umfang zu verkaufen, dass der Bestand sich wieder verringert. Allerdings verbuchen wir diesen Vorgang wie Verluste, weil wir formal (buchungstechnisch) vorher im Bestand gebundenes Vermögen verlieren.
Schließlich geben wir mitunter eine ganze Menge Geld für Produkte oder Leistungen aus, die uns erst in der Zukunft Einnahmen ermöglichen. Einen Teil davon verbuchen wir sofort als Aufwand – bspw. für Entwicklung, Marketing oder Weiterbildung; auch die Steuern gehören streng genommen dazu. Diese Ausgaben belasten formal unser heutiges Ergebnis und erscheinen daher negativ. Gleichzeitig bilden sie aber eine wesentliche Grundlage für unser künftiges Geschäft. Und deshalb sollten wir wissen, wie rentabel sie sind. Darüber sagen die verbuchten Ausgaben nichts aus. Einen anderen Teil verbuchen wir in die Bestände des Anlagevermögens und schreiben sie mit mehr oder weniger realen Prozentsätzen ab. Sie belasten damit in Höhe dieser Abschreibungen unser heutiges Ergebnis. Doch im Grundsatz beeinflussen sie genauso wie der andere Teil der Zukunftsausgaben unsere Möglichkeiten, zukünftig Geld zu verdienen. Und auch die Abschreibungen sagen uns nichts über die Rentabilität der Geldausgabe.
Ohne das jetzt weiter auszudehnen wird ersichtlich, dass in diesen komplexen Zusammenhängen schnell die Übersicht über die Geldströme und die Tragfähigkeit der Geschäfte verloren gehen kann. Die BWA allein hilft in solchen Fällen nicht weiter. Und der reine Blick auf die verfügbaren Geldreserven reicht ebenso wenig. Das mag nicht als tragisch angesehen werden, solange genügend Geld vorhanden ist. Allerdings sollte auch dann ein Kaufmann wissen, wie es um sein Geschäft steht. Die Intransparenz kann jedoch bedrohlich werden, wenn dadurch Verlustquellen zum einen nicht erkannt und zum anderen über Kredite finanziert werden. Dann steht schnell die Existenz auf dem Spiel.
Diese Intransparenz zu vermeiden, ist Aufgabe des Controllings. Dabei geht es in erster Linie darum, dass der Geschäftsführer bzw. die Mitglieder der Geschäftsleitung die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge verstehen und zu keinem Zeitpunkt den Überblick verlieren. Probleme vermeiden kann das Controlling nicht. Aber es kann vermeiden, dass wir sie nicht rechtzeitig erkennen, um angemessen reagieren zu können.
Wenn die Führungskräfte über ausreichend Zeit und Fähigkeiten verfügen, selbst für die nötige Transparenz zu sorgen, benötigen sie keinen Controller. Sofern das nicht gegeben ist – und in vielen Fällen fehlt es zumindest an einem von beiden – sollte ein interner oder externer Controllerdienst aufgebaut bzw. genutzt werden. Dann entsteht das Controlling aus dem Wechselspiel zwischen Führungskräften und Controllern. Maßgeblich für dieses Wechselspiel sind dabei nicht die Controllingzahlen. Maßgeblich ist immer das praktische Verständnis, das die Führungskräfte für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge gewinnen, damit sie es ihren Entscheidungen zugrunde legen können. Damit sie am Ende des Tages schließlich doch wissen, ob das Geschäft Geld verdient oder vernichtet. Denn darauf kommt es schließlich an.
Fachautor: Dr. Schmidt, Mitglied des Vorstands und Leiter der IFRS – Projektgruppe im Internationalen Controller Verein eV