Viele Industrieausrüster stehen vor der Herausforderung, dass sie ihr Servicegeschäft per Echtzeitkommunikation optimieren müssen. Martin Hinrichs, Produktmanager und Mitglied der Geschäftsleitung bei der ams.Solution AG, erläutert im Interview mit dem Midrange Magazin (MM), welche Funktionalitäten moderne ERP-Systeme im Umfeld von Industrie 4.0 zu erfüllen haben.

MM: Sie haben unter anderem das Motto „Service 4.0“ für Einzelfertiger auf der Agenda. Welche Vorteile ergeben sich aus einer vorbeugenden Instandhaltung?

Hinrichs: Nun, aus Sicht der Maschinenanwender ist da zuallererst die höhere Verfügbarkeit der Anlagen zu nennen. Die andere Seite der Medaille ist der spürbare Rückgang der wartungsbedingten Stillstände. Beides spielt unseren Kunden, den Herstellern der Produktionsanlagen, massiv in die Hände. Mit unserer Service 4.0-Lösung sind sie in der Lage, die erforderlichen Reparatur- und Instandhaltungseinsätze mit einem Minimum an Organisationsaufwand durchzuführen.

MM: Wie kommt es zu der Optimierung?

Hinrichs: Das Grundprinzip besteht darin, dass ams.erp – unsere ERP-Lösung – spezialisiert für Einzel-, Auftrags- und Variantenfertiger, die Betriebsparameter der ausgelieferten Investitionsgüter permanent auswertet. Hierzu greift das ERP auf die Cloud-Umgebungen zu, in welche die Betriebsdaten der Anlagen hineingeschrieben werden. Zeichnen sich in den Daten Anomalien ab, schlägt ams.erp geeignete Maßnahmen vor, um mögliche Produktionsstillstände zu vermeiden. Um die Handlungsoptionen so schnell wie möglich sichtbar zu machen, eignet sich der Einsatz grafischer Dashboards. Zusätzlich zu ihrer Informationsfunktion bieten die Dashboards eine Reihe von Absprungpunkten ins ERP, wo sich die operativen Einsätze wirtschaftlich organisieren lassen.

MM: Welche Funktionalitäten sind bei ERP-Systemen nötig, um derartige Servicemodelle abbilden zu können?

Hinrichs: Eine der wesentlichen Anforderungen liegt darin, dass die Servicetechniker ortsunabhängig auf das ERP zugreifen können. In der Praxis sind Browser- bzw. App-basierte Zugänge das Mittel der Wahl, um die erforderlichen Anlagen- und Auftragsinformationen rollenbasiert zur Verfügung zu stellen. Hierzu gehört insbesondere die technische Auftragsdokumentation inklusive einer genauen Aufschlüsselung der aktuell in der Anlage verbauten Materialien. Auf der Grundlage dieser Informationen kann der Techniker präzise entscheiden, welche Ausrüstung und welche Ersatzteile er für den aktuellen Serviceeinsatz mitnehmen muss. Vor Ort beim Kunden nutzt er die mobilen Clients, um die Auftragszeiten und den Materialverbrauch zurückzumelden. Diese Daten werden dann der Auftragsabwicklung zur Abrechnung zur Verfügung gestellt.

Martin Hinrichs, Produktmanager und Mitglied der Geschäftsleitung bei der ams.Solution AG: „Nur wenn die BI-Lösung integraler Teil des ERP ist, bekommen die Anwender ihre Auswertungen in Echtzeit.“ Quelle: ams.Solution

MM: Das Einreichen von Belegen gehört dann ja der Vergangenheit an. Sind die Bereiche Fertigung und Montage bereits ähnlich weit?

Hinrichs: Einige Vorreiter haben die papierlose Fertigung bereits in weiten Teilen verwirklicht. Doch die Mehrzahl der Unternehmen ist noch auf dem Weg dorthin. In den zuletzt genannten Betrieben konzentriert sich die fertigungsbezogene ERP-Unterstützung darauf, Stücklisten und Arbeitspläne zu schreiben und projektübergreifend verfügbar zu machen. Doch anstatt elektronische Workflows zu nutzen, druckt man die Fertigungsunterlagen lieber aus und hinterlegt sie in Papierform an den einzelnen Arbeitsstationen. Den Terminvorgaben entsprechend nehmen die Mitarbeiter dann die jeweils passenden Ausdrucke zur Hand, um das aktuell benötigte Material zu kommissionieren und an die Arbeitsstationen zu bringen. Dort läuft der Prozess manuell weiter, indem die Werker die Materialentnahme an ihren BDE-Terminals erfassen.

MM: Sie haben die Vorreiter einer papierlosen Fertigung bereits erwähnt. Was machen diese Unternehmen anders?

Hinrichs: Je nach Fertigungsphilosophie bieten sich unterschiedliche Wege an. Im Kern geht es aber immer darum, die Mitarbeiter so weit wie möglich von Routinearbeiten zu entlasten. Ein gutes Beispiel ist unser Kunde Hoffmann Maschinen- und Apparatebau, der Aufbereitungsanlagen für Kühlschmierstoffe herstellt und sich dabei auf eine Montagefertigung stützt. Das Unternehmen hat sein Lagerwesen so umstrukturiert, dass es nur noch auftragsbezogene Lagerplätze in Reichweite der Fertigungs- und Montageplätze gibt. Zudem befinden sich an den Arbeitsstationen große Bildschirme, auf denen die Zeichnungen und Materialien des aktuell zu bearbeitenden Auftrags erscheinen. Am Monitor identifizieren sich die Werker per RFID-Code und stempeln nun rein elektronisch ihre Aufträge ab. Ein zusätzlich integriertes Pick-by-light-System führt den Werker zum Lagerort des Materials, das zum jeweiligen Arbeitsschritt gehört. Durch die Materialentnahme erfolgt automatisch die Materialbuchung im ERP sowie die Fertigmeldung des jeweiligen Arbeitsschritts. Die Kostenträger werden dabei in Echtzeit belastet.

MM: Wie stellen Sie eine saubere Datenintegration in diesem Kontext sicher – zumal im Umfeld von Industrie 4.0 enorme Datenmengen im Herstellungsprozess entstehen?

Hinrichs: Zweifellos führt die Digitalisierung zu Datenmengen in bisher unbekanntem Umfang. Doch wie verlässlich sind diese Daten? Etwa wenn es darum geht, die Budgetentwicklung eines Projekts zu messen und den weiteren Verlauf hochzurechnen: Was bringen mir dann zum Beispiel eine Million zusätzliche Datensätze, wenn ich bei mindestens der Hälfte dieser Daten erhebliche Zweifel daran haben muss, ob die Projektbeteiligten die Informationen auch tatsächlich im Sinne des Gesamtprozesses gebucht haben. Denn gerade in den Projekten der Investitionsgüterindustrie ist es zunächst einmal durchaus üblich, dass sich die unterschiedlichen Projektbeteiligten Zeitpuffer zulegen, um mögliche Risiken zu minimieren. Allzu leicht summiert sich die Streckung der Zeiten dann auf Wochen, wenn nicht auf Monate.

MM: Somit muss es in erster Konsequenz darum gehen, die Qualität der Daten zu erhöhen?

Hinrichs: Ganz genau. Die entscheidende Frage ist doch folgende: Wie organisieren Unternehmen ihre Prozesse, dass die parallel zum Prozessfortschritt entstehenden Buchungen auch tatsächlich der Realität entsprechen? Hierzu müssen wir außerordentlich feingranular in die Abläufe hineinschauen und uns zu jedem Zeitpunkt fragen, was wir wissen müssen, damit wir die Vorgänge so weit wie möglich sich selbst überlassen können. Das ist ein sehr bedeutsamer Aspekt, den wir gemeinsam mit den Anwenderunternehmen lösen müssen. Erst dann werden wir Industrie 4.0 wirklich zum Fliegen bringen. Die Menge der Daten macht es beileibe nicht, sondern einzig ihre Genauigkeit und Sachdienlichkeit für den Prozess.

MM: Gleiches gilt ja sicherlich auch im Controlling. Wie wichtig ist die enge Integration von Business Intelligence-Funktionalitäten für ERP-Systeme?

Hinrichs: Speziell in der Einzelfertigung ist eine enge Verzahnung unabdingbar. Vor allem der Sondermaschinen- und Anlagenbau hat es regelmäßig mit Projekten im fünf- bis siebenstelligen Eurobereich zu tun. Zudem sprechen wir hier von Projekten, die mehrere Monate, nicht selten sogar Jahre dauern und dabei auf einen unverrückbaren Liefertermin hinsteuern. Somit ist es sowohl aus budgetären als auch aus terminlichen Gründen ein Muss, den Fortgang der Projekte zu messen und etwaige Planabweichungen so früh wie möglich aufzudecken. Eine durchgängige BI-Lösung gibt den stark mittelständisch geprägten Unternehmen der Einzelfertigung die Transparenz, die Risiken ihres Projektgeschäfts verlässlich zu bewerten und zu managen.

MM: Wo sehen Sie die größten Vorteile einer im ERP integrierten BI-Lösung?

Hinrichs: Nur wenn die BI-Lösung integraler Teil des ERP ist, bekommen die Anwender ihre Auswertungen in Echtzeit. Ein weiterer zentraler Vorteil liegt darin, dass sich die Informationen in Dashboards aufbereiten lassen, aus denen die Nutzer direkt in die ERP-Bereiche wechseln können, die mit den BI-Auswertungen korrespondieren. Aus inhaltlicher Sicht sind sowohl unternehmensübergreifende als auch projektspezifische Analysen möglich. Somit lässt sich jederzeit verlässlich abschätzen, wie das laufende Projekt in Summe abgeschlossen wird und wie die Deckungsbeiträge der beteiligten Abteilungen respektive der Unternehmenstöchter ausfallen werden.