Browser-Oberflächen werden auch für betriebswirtschaftliche Anwendungen mittelfristig Windows als Standard für grafische User Interfaces ablösen. Damit verbunden ist allerdings nicht eine rein kosmetische Veränderung, sondern die Chance, die Software über das Word Wide Web verfügbar zu machen. Damit werden neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnet – zum Beispiel der Einsatz in dezentralen Organisationen, die von jedem Standort auf der Welt auf eine zentrale Lösung und damit einen konsistenten Datenbestand zurückgreifen können. Vor allem für Niederlassungen, Home Offices und mobile Außendienstmitarbeiter stellt die Möglichkeit, die Unternehmensanwendung jederzeit und von jedem Ort aus zu nutzen, eine erhebliche Arbeitserleichterung bei gleichzeitig verbesserter Informationsqualität dar. Aber auch im Rahmen der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit – etwa in Supply Chains – wird die Web-Fähigkeit von bestehenden betriebswirtschaftlichen Lösungen einen entscheidenden Produktivitätsgewinn bringen.
Web-Fähigkeit des kompletten Lösungsangebots ist seit rund 18 Monaten zentraler Bestandteil der Produktstrategie des Kölner Software-Hauses GUS Group AG & Co. KG. Als Ergänzung zur chargenorientierten ERP-Lösung Charisma wurde bereits im Jahr 2000 mit der in Java entwickelten Charisma eSuite eine komplette e-Business-Umgebung mit Shop (B2B und B2C), Produktkatalog, Management-Tools und grafischem Auskunftssystem bereitgestellt.
Mit der Vorstellung von eLogistIQ, der integrierten Lösung für den Online-Versandhandel und das Fulfilment, wurde im vergangenen Jahr eine Java-Neuentwicklung als Web-Anwendung zur Verfügung gestellt. Zusätzliche Web-Services für eLogistIQ und Charisma (zum Beispiel Kunden- und Lieferanten-Portal sowie ein webbasiertes Management-Informationssystem) auf der Basis von IBM Websphere (Net.Data) haben diesen Trend in 2001 fortgeführt. Jetzt hat das Software-Haus auch das aus rund 3.000 Bildschirmmasken bestehende Informationssystem Charisma mit Hilfe des Websphere Development Studios vollständig für das Web konvertiert. Voraussichtlich zur CeBIT 2002 wird Charisma Release 8.0 mit voller Web-Fähigkeit verfügbar sein.
Im Herbst 2001 fiel der Startschuss für die Konvertierung der RPG-Anwendung mit dem Ziel, einerseits eine einheitliche Browser-Oberfläche für sämtliche Funktionen von Charisma (Einkauf, Verkauf, Produktion, Planung, Kalkulation, Materialwirtschaft, Qualitätsmanagement, Budgetierung und Disposition) sowie andererseits eine sichere Umgebung für den Zugriff über das Web zu schaffen. GUS-intern wurden dazu zwei Wege parallel gewählt:
– Die 1:1-Umstellung sämtlicher Charisma-Masken mit Hilfe von IBM Websphere Development Studio (WebFacing).
– Die Umsetzung aller Charisma-Funktionen mit Hilfe des von der GUS entwickelten Java Frameworks, auf dem bereits eLogistIQ beruht.
Während die Umsetzung der speziellen Funktionen auf der Basis des Java Frameworks einer Neuentwicklung mit dem Ziel weitest gehender Plattformunabhängigkeit gleichkommt, zeigt die Erfahrung mit Websphere Development Studio, dass auch komplexe Anwendungen wie Charisma schnell und vollständig konvertiert werden können. Der entscheidende Vorteil des WebFacing-Ansatzes ist insbesondere, dass der bestehende RPG- oder Cobol-Code nicht verändert werden muss. Damit kann die Release-Politik auch für Charisma 8.0 (Web) unverändert fortgeführt werden. Für die Kunden der GUS Group bedeutet dies Investitionsschutz sowohl bei den Standardfunktionen von Charisma als auch bei den zusätzlich entwickelten Individualprogrammen und Modifikationen.
Mit WebFacing als Teil des Websphere Development Studios kann jede RPG- oder Cobol-Anwendung im Web dargestellt werden. Im Gegensatz zu Screen Scrapers, die auf dem Client zur Laufzeit die Umstellung des klassischen 5250-Datenstroms besorgen, werden die DDS serverseitig konvertiert und auf dem Websphere Application Server als Java Server Pages (JSP) hinterlegt. Die Konvertierung erfolgt auf einem vorgeschalteten Wintel-Server (mit Websphere Development Tools), der die konvertierten DDS anschließend zurück auf den Websphere Application Server transferiert (typischerweise iSeries, auf der auch die RPG/Cobol-Anwendung existiert; allerdings kann der Websphere Application Server auch auf einem PC laufen). Aus Performance-Gründen sollte der PC äußerst komfortabel mit Systemressourcen ausgestattet sein.
Das Entwicklungsteam unter Leitung von GUS-Technologiechef John Muir hatte zunächst mit überschaubaren Funktionsbereichen von Charisma erste Tests vorgenommen, um das Verhalten der neuen Web-Lösung zur Laufzeit zu messen. Dabei ergeben sich grundsätzlich zwei Konfigurationsmöglichkeiten:
1. Charisma plus Websphere befinden sich auf einer iSeries-Maschine. Wie sich zeigte, entsprach die Performance dem Verhalten der reinen Green-Screen-Anwendung. Allerdings muss zusätzliche Performance für Websphere bereitgestellt werden. Erste Tests mit einem Modell 170 zeigten deshalb ein nicht zufriedenstellendes Antwortzeitverhalten. Die vollständige Konvertierung und die laufenden Tests erfolgen deshalb auf einem Modell 270.
2. Alternativ kann Websphere auf einem Wintel-Server installiert werden, während die RPG-Anwendung und die Daten auf einer kleinen iSeries residieren. Die damit erreichte Performance-Verbesserung wird allerdings durch Einbußen bei der Stabilität des Gesamtsystems erkauft.
Die Erfahrungen zeigten zudem, dass OS/400 Version 5 Release 1 auf der iSeries installiert sein sollte. Die von IBM dokumentierte Eignung für Vorgänger-Releases (V4R5) hat sich in den Projekten nicht als praktikabel bestätigt. Versuche mit V4R5 haben zu erheblichen Anfangsproblemen geführt, die jedoch mit der ausgezeichneten Hilfe der IBM Rochester (neue PTFs und Service Packs) behoben werden konnten.
Trotz dieser Anlaufschwierigkeiten wurde das Projekt schneller umgesetzt als geplant. Die Web-Umstellung begann im September 2001, wobei das Entwicklungsteam in der „heißen Phase“ aus drei Mitarbeitern bestand. Seit Januar 2002 laufen die abschließenden Tests für die rund 3.000 Bildschirmmasken, die das Komplettsystem Charisma umfasst. Im nächsten Schritt werden jetzt Pilotkunden die webfähige Version in den produktiven Einsatz übernehmen, um im Rahmen der konkreten Arbeitssituation Erfahrungen zur Performance und zur Ergonomie der neuen Oberfläche zu gewinnen.
Einer der wichtigsten Vorteile der neuen Web-Anwendung ist, dass auf dem Client lediglich ein Browser (MS Internet Explorer 5.0), HTTP sowie eine Verbindung zu Websphere benötigt werden. Zusätzliche Tools, wie sie bei Screen Scraper typisch sind, werden nicht benötigt. Ausgestattet mit einem Internet-Zugang kann damit von jedem Laptop auf der Welt ein autorisierter Zugang zu Charisma gewährt werden. Ein unerlaubter Zugriff auf Charisma oder die unternehmenskritischen Daten kann weit gehend ausgeschlossen werden.
WebFacing erlaubt zudem eine größtmögliche Flexibilisierung beim Customizing. Während der bestehende RPG-Code durch die Konvertierung nicht verändert wird, kann die Browser-Oberfläche individuell gestaltet werden. WebFacing liefert dazu standardmäßig eine Reihe von Browser-Templates, die weiter nach Corporate Identity-Richtlinien modifiziert werden können. Darüber hinaus kann Charisma nun auch im Browser mit weiteren Web-Anwendungen integriert werden. Zusätzliche URLs, die auf Web-Lösungen von Drittanbietern verweisen, können ebenfalls eingebaut werden. Unterstützt werden darüber hinaus Pop-up Windows (für Detailinformationen) sowie lokale formale Plausibilitätsprüfungen per JavaScript.
Entscheidend aber ist, dass die Browser-Oberfläche nicht nur für den Charisma-Standard, sondern auch für die beim Kunden entwickelten Individualumgebungen genutzt werden kann. Damit ist theoretisch eine vollends durchgängige Web-Fähigkeit bei allen Charisma-Anwendern gegeben. Dennoch können – zum Beispiel bei Arbeitsplätzen mit Massendaten-Eingabe – auch jederzeit die gewohnten Green Screen- oder GUSGUI-Oberflächen eingeschaltet werden. Zukünftige Releases werden also sowohl Browser-, Windows- als auch 5250-Darstellungen ermöglichen.
Websphere Development Studio hat sich bisher als äußerst stabiles Werkzeug erwiesen – insbesondere, wenn es auf der iSeries eingesetzt wird. Es hat der GUS Group die Chance eröffnet, für ein komplexes ERP-System wie Charisma in kürzester Zeit eine völlig neue Oberfläche (Browser) und zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten (Anwendungsintegration über das Internet) zu eröffnen. Diese Flexibilität gewährt es aber nicht nur den Software-Anbietern. Anwender haben mit WebFacing die Möglichkeit, alle im Einsatz befindlichen RPG- oder Cobol-Anwendungen mit einer Web-Oberfläche auszustatten – auch dann, wenn dieses Feature vom Anbieter selbst nicht angeboten wird. Das Software-Haus bietet dazu jederzeit Beratung.
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