Als elektronische Diener eines jeden Unternehmens haben sich ERP- (Enterprise Resource Planning-) Lösungen aller Couleur längst etabliert und verdient gemacht. Völlig unabhängig davon, ob es sich um mächtige Komplettsysteme oder das Zusammenspiel spezialisierter Einzelapplikationen handelt: Im modernen Geschäftsalltag kommt niemand mehr umhin, alle relevanten Prozesse lückenlos DV-technisch abzubilden. Immer wichtiger wird dabei der unternehmensübergreifende Integrationsaspekt. Denn erst das Zusammenspiel der eigenen ERP-Lösungen mit denen von Lieferanten, Zulieferern und Kunden macht das Supply Chain Management im Sinne der New Economy möglich. Als die Gartner Group in den 90er Jahren die Bezeichnung ERP einführte, war bei weitem nicht abzusehen, welche zentrale Bedeutung das Thema im Geschäftsleben einnehmen würde. Ob Hersteller, Händler oder Dienstleister: Jeder muss heute schließlich über die Ressourcen seines Unternehmens Bescheid wissen. Der Siegeszug des Internets, welches in den folgenden Jahren als weltweit verfügbare Kommunikationsplattform ausgebaut wurde, führte einerseits zur Benennung von internetfähiger Software als ERP II-Lösungen und andererseits zum Entstehen der New Economy.
Technologie als Entwicklungshelfer
„New” bedeutet allerdings weniger, dass es nicht schon früher ökonomische Innovationen gegeben hätte. Denn schließlich war die gesamte Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrhunderte auch die Geschichte technologischer Weiterentwicklungen. Elektrizität und Verbrennungsmotor sind in diesem Kontext nur zwei entscheidende, aus einer ganzen Reihe bedeutender Entwicklungshelfer. Auch speziell auf dem Gebiet der Kommunikation gab es ständig Innovationen, von der Erfindung des Fernschreibers über die Telefonie bis hin zu Radio, TV und – last but not least – dem Internet.
Das Neue an der New Economy
Der Begriff „New Economy” bezeichnet zunächst die veränderte Wirtschaftsordnung. Damit ist natürlich weniger an Geschäftsmodelle gedacht, die sich über längere Zeit hinweg fernab positiver Cash Flows bewegen und gleichzeitig auf potenziell hohe Gewinne in ferner Zukunft vertrauen – ein Schelm, wer anderes denkt. Vielmehr geht es um das Zusammenwachsen der nationalen und internationalen Märkte durch die phantastischen neuen Möglichkeiten der Kommunikation, und zwar sowohl in Bezug auf die internen und externen Beziehungsgeflechte von Unternehmen (Business-to-Business) als auch auf der Konsumentenebene (Business-to-Consumer).
Kollaborateure der Neuzeit
Während die ERP-Software bisher in erster Linie auf das Unternehmen fokussiert war, rücken mehr und mehr die Außenbeziehungen ins Blickfeld. In deren Mittelpunkt steht ein neues Business-Paradigma und der so genannte elektronische Marktplatz. Bildlich kann man sich diesen als weiteren Ausbau der als verlängerte Werkbank darstellbaren Supply Chain vorstellen. Über das Medium Internet tauschen die Unternehmen einerseits mit ihren Lieferanten und Zulieferern alle relevanten Informationen aus und erhöhen damit spürbar die Effizienz. Andererseits erhalten auch die Kunden einen Einblick in die Wertschöpfungskette, was zu einer weiteren Verdichtung der Prozesse und damit erheblich höherer Effektivität führt. Dieses partnerschaftliche Zusammenarbeiten zielt darauf ab, allen an den Business-Prozessen Beteiligten jeweils das Optimum des Erreichbaren anzubieten.
Marktwissen ermöglicht Antizipation
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Das Zusammenführen der Informationen von Lieferanten und Zulieferern auf der einen sowie über Ware und Dienstleistung an den Endverbraucher auf der anderen Seite erhöht ganz zwangsläufig spürbar die Transparenz – und zwar nicht nur in den Prozessen, sondern auch mit Blick auf die Marktsituation. Bislang mussten Marktforschungsinstitute mit Studien beauftragt oder zwei bis drei Lebenszyklen bestimmter Produkte abgewartet werden, um die Bedürfnisse des Marktes besser vorhersagen zu können. Im Collaborative Business jedoch lässt sich antizipieren statt reagieren: Das Lernen aus der Vergangenheit und das Prognostizieren zukünftiger Needs gehört im Kundenmanagementbereich von Beginn an zu den wichtigsten Features und führt durch die Öffnung der ERP-Systeme zu völlig neuen Möglichkeiten.
Unternehmensübergreifende Datenquellen
Das Sammeln und Auswerten von Daten mit Hilfe von Data-Warehouse und Data-Mart findet dabei längst nicht mehr nur innerhalb des eigenen ERP-Konstrukts statt, sondern schließt auch das Auswerten externer Business-Systeme innerhalb der elektronischen Marktplätze sowie Public-Datenbanken aus dem Internet ein. Einmal mehr zeigt sich damit, dass nicht in sich geschlossene und gigantische Systeme erfolgsversprechend, sondern bestimmte Öffnungen gefragt sind, um Mehrwerte zu schaffen.
Handel im Netz erfordert vernetztes Handeln
Um aber der Forderung nach einem vernetzten Handeln aller Wirtschaftsbereiche unter Einbeziehung des e-Commerce gerecht zu werden, müssen die notwendigen administrativen Voraussetzungen in der ERP-Welt geschaffen werden. Miteinander kommunizierende ERP-Systeme sind insofern die notwendige Voraussetzung für die New Economy, indem sie die Plattform für gewinnbringende Kollaboration bereitstellen. Ohne sie sind kollaborative Strategien nicht mehr Wert als das Papier, auf dem sie stehen. Sehr anschaulich lässt sich anhand der vermehrten Übernahme von CRM- und SCM-Marktanteilen beobachten, wie wichtig den ERP-Anbietern dieses Thema ist.
Tendenz zum Komplettangebot
In erster Linie jedoch dürften die Portfolio-Erweiterungen der ERP-Häuser auf die Erhöhung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit zielen. Denn schließlich stehen sie schon per Definition untereinander im Mitbewerb, zumal sie im Wesentlichen auch alle auf die gleichen Wurzeln zurückgreifen. Zu diesem Ergebnis kommt auch Dr. Wolfgang Martin, Research Fellow der Meta Group. Die Markteinschätzung des Analysten: „Es ist eindeutig zu erkennen, dass sich die ERP-Spezialisten über strategische Akquisitionen zunehmend als Komplettanbieter positionieren wollen.” Das gilt nach seinem Dafürhalten sowohl für größere Häuser wie SAP, Peoplesoft oder Oracle als auch für kleinere, so zum Beispiel SoftM, Bäurer, Navision oder Great Plains.
Informationsflüsse ermöglichen
Ist diese Zentrierung im Sinne des Anwenders? Ganz abgesehen davon, dass durch die Wahl eines „Haus- & Hof-ERP-Anbieters” die Optimierungspotenziale nach dem Best-of-Breed-Prinzip verloren gehen, gerät der Anwender in ein noch stärkeres Abhängigkeitsverhältnis. Durch das ERP-Angebot aus einer Hand entfällt für ihn zwar innerhalb der Unternehmensgrenzen der Integrationsaufwand; das befreit ihn jedoch nicht von der Notwendigkeit des abgestimmten Zusammenspiels mit externen Systemen im Zuge der Kollaboration. Hierfür sind die entsprechenden Schnittstellen und insbesondere Kommunikationsstandards gefragt, um Brücken zu bauen und Informationsflüsse zu ermöglichen. Ist das gewährleistet, bleibt dabei unerheblich, ob innerhalb des Unternehmens ein heterogenes ERP-Gesamtsystem nach der Best-of-Breed- oder einer homogenen Lösung nach dem Komplettanbieter-Paradigma installiert wurde.
XML: Geht nicht – gibt’s nicht
Zu einer kommunikativen Infrastruktur für unternehmensübergreifende Prozesse gehört einerseits, dass die relevanten Daten in geeigneter Form bereitstehen, andererseits müssen die Informationen internetfähig aufbereitet und weiterverarbeitet werden: In diesem Kontext ist oftmals von XML als designiertem Standard die Rede; die auf der Basis des ISO-Standards SGML entwickelte Metasprache wird vielerorts sogar als Motor für Business-to-Business-Transaktionen gefeiert. Ihrem Siegeszug stehen allerdings noch einige Unwegsamkeiten entgegen, insbesondere der Zerfall von XML in immer mehr Dialekte. Dennoch: Viele Anbieter haben XML-Server und -Tools auf den Markt gebracht. Teilweise wird XML auch schon als das Esperanto des elektronischen Handels bezeichnet. Wir dürfen gespannt sein und bewerten mit einem Augenzwinkern an dieser Stelle besser nicht, inwieweit sich Esperanto überhaupt als Weltsprache durchgesetzt hat.
Schutz vor dem Mitbewerb
Aber Öffnen bedeutet keineswegs Gleichschalten, denn die Abgrenzung zum Mitbewerb erfolgt bereits durch die Spezialisierung der ERP-Systeme. Diese müssen keineswegs hundertprozentig gleich sein, sondern lediglich über die notwendigen Schnittstellen verfügen, um untereinander kommunizieren zu können. Wer im Zuge der Kollaboration bestimmte Karten einem definierten Kreis von Mitspielern offen legen will, muss natürlich dafür Sorge tragen, dass sowohl ein verlässliches Autorisierungskonzept vorliegt, als auch der Datentransfer entsprechend abgesichert ist. Hier ist strukturelle Vorarbeit zu leisten, um Fragen zu beantworten wie: Wer bekommt was zugänglich gemacht wurde, welche Daten muss ich verschlüsseln, und bei welchen Daten ist es mir recht, dass diese jeder sehen kann? Vor einer Absicherung über jede Gebühr sollte man jedoch absehen. Wer hier beispielweise Dokumente abzusichern versucht, die anderenorts bereits im Internet publik gestellt wurden, läuft Gefahr, sich sinnlos „zu Tode zu verschlüsseln”.
Auf den Punkt gebracht
Der Weg zum e-Business erfolgt über den Weg der Zusammenführung verschiedener ERP-Systeme, die in den Unternehmen jeweils zum Einsatz kommen. Hierfür müssen Schnittstellen definiert und Datenformate gefunden werden, die sich sauber und geschützt auch über die Unternehmensgrenzen hinaus austauschen lassen. Der ERP-Ansatz ist damit alles andere als am Ende angelangt: Er wird weiterleben, auch wenn er mit der zunehmenden Öffnung und Vernetzung des Geschäftslebens nicht mehr als „die” Insel wahrzunehmen ist, die er früher einmal darstellte. Denn auch wenn die ERP-Anbieter auf ein Komplettangebot setzen: Künftig dürften weniger Komplettsysteme als bloße Funktionen eingekauft werden, die das e-Business realisieren. Der Begriff EAI (Enterprise Application Integration) erhält schließlich im Sinne einer „World Wide Application Integration” eine völlig neue Dimension. Der positive ökonomische Aspekt daran: Wenn die Systeme erst einmal miteinander interagieren können, werden auch Händler, Zulieferer und Kunden vernetzter und damit enger miteinander arbeiten: Willkommen in der New Economy!