Jeder Erwachsene weiß, dass man sich Geschenke verdienen muss. Wenn es um die Wirtschaft geht, wissen wir natürlich, dass einem keiner auf der einen Seite etwas schenken kann, ohne dass er es auf der anderen Seite wieder wegnimmt. Normalerweise ist das ein Grund, skeptisch zu sein, wenn einem jemand Geschenke anbietet. Und wenn das die IBM macht, sollten schon die Alarmglocken läuten! Wir Kunden wissen, dass die IBM immer ein sehr gutes Gefühl dafür hat, was ihre Produkte Wert sind; in den meisten Fällen sind sie es auch und wir zahlen den Preis, weil wir die Qualität und die Leistung haben wollen. Dass die IBM plötzlich unter die Gönner gegangen sein soll, ist jedoch höchst verdächtig. Noch schlimmer wird die Skepsis, wenn man sich mit den Idealen der Linux-Community auseinandersetzt.

Da ist alles gratis: das Betriebssystem, die Anwendungs-Software – einfach fantastisch. Wir brauchen also nur noch die Hardware kaufen, der „Rest“ wird kopiert wie Microsoft Office. Ich glaube, dass wir nun dort angelangt sind, wo der Zug hingehen soll. Für mich sieht es so aus, als habe die IBM von Microsoft gelernt, wie sie die Kunden auf ihre Schiene bekommt.

Nachdem man seinen Betrieb einmal umgestellt hat, ist man in vielerlei Hinsicht abhängig. Große Umstellungen kann sich kaum ein Unternehmen öfter als einmal im Jahrzehnt leisten. Natürlich ist OpenSource kostenpflichtig, man bekommt dafür jede Menge Code und hat die Möglichkeit in der Hand, da auch reinzugreifen. Einzig das Gefühl, der Herr über die Sourcen zu sein, ist gratis.

Entkoppelung vom Fortschritt

Wir erleben eine Zeit rasanter Veränderungen. Regelmäßig werden wir mit neuer Technologie eingedeckt, im iSeries-Bereich natürlich ein bisschen schaumgebremst – aber dennoch. Früher oder später wollen wir neue Technologie einführen. Wenn ich die Source selbst in der Hand habe, bin ich da jetzt freier, oder?

Ein Anwendungsprogrammierer, der versucht Web-Services von der Basis auf selbst zu erstellen, gleicht einem Mechanikerlehrling, der mit Schraubenschlüssel und Vorschlaghammer versucht, einen Zwölf-Zylinder zu tunen. Falls das Ziel erreicht werden sollte, steht man mit einem Bein schon in der nächsten Falle. Ein Update des Herstellers (falls überhaupt verfügbar) wird diese Entwicklungen natürlich eliminieren. Die Adaptierungen müssen nach jedem Update wieder hergestellt werden, was Aufwand in unbekannter Höhe verursacht.

Öffi’s haben Zeit dazu

Wir alle haben es mitgekriegt, die Verwaltungsapparate von großen Städten stell(t)en auf Linux um, damit das Geld im Lande bleibt und nicht zu ’Micro$oft‘ gesendet werden muss. Ob dann die Verwaltung für den Steuerzahler deswegen billiger oder effizienter ist, werden wir nie erfahren. Tatsache ist, dass dadurch Linux-Spezialisten Arbeit haben – und das ist auch gut so. Ob das ein Modell für die Wirtschaft ist, möchte ich in Frage stellen.

Von wegen Plattformunabhängigkeit

Seit den 80er Jahren ist klar, dass man Software bausteinorientiert entwickeln soll. Es ist wichtig, dass Programme über Schnittstellen ineinander greifen. Je weniger über die Implementierung der gewünschten Funktion bekannt sein muss, umso besser arbeitet die Software. Eine andere Regel besagt, dass man keine Infrastruktur entwickeln soll, sondern die bestehende des Betriebssystems nutzen muss. Was soll man also mit OpenSource von Linux? Wer ist in der Lage, Implementierungen vorzunehmen, wenn man mit den angebotenen Funktionen nicht zufrieden ist? Generell würde ich auf diese Frage antworten, dass dann vom Ansatz her etwas nicht stimmen kann.

Sollte man es schaffen, Linux anzupassen, kann man sich zu einer besonderen Leistung gratulieren. Man hat es geschafft, seine Anwendung nicht nur mit dem Betriebssystem, sondern sogar mit einer bestimmten Betriebssystem-Version zu ’verheiraten‘.

(Geld)Schein-Idealismus

Man fragt sich als Beobachter, wozu die IBM das forciert. Zwischen „und wenn sie alle drin sind, machen wir den Sack zu“ und „woher Software nehmen?“ ist alles möglich. Ich tippe eher auf letzteres, da die IBM in den letzten 15 Jahren keine für die iSeries-Anwender interessante Technologie auf den Boden bringen konnte. Das Unternehmen, das früher großartige Hardware und Betriebssysteme angeboten hat, ist dabei, sich von den verschiedensten Sparten zu trennen. Ob es auch dabei ist, sich von den Kunden zu entfernen, können Sie als IBM-Kunde selbst am besten entscheiden.

Ich glaube, dass die iSeries-Community das Gefühl hat, die IBM investiere seit langem nicht mehr in die Entwicklung dieser Plattform. iSeries-Kunden sollen mit Linux auf IBM-Hardware glücklich werden und natürlich mit Java programmieren – das ist ja auch gratis. Für große Unternehmen mag es eine Option sein. iSeries-Anwender sind in der Regel sehr treue IBM-Kunden. Da das System eine sehr hohe Stabilität erreicht hat und zudem pflegeleicht ist, fällt einem der Wechsel schwer. Ob das Paket Linux, Java und OpenSource-Software dem Unternehmen letztendlich billiger kommt als Lösungen auf Microsoft-Basis, ist fraglich.

Kommentator: Christian Neißl