Trotz steigender Compliance-Vorgaben verläuft die Digitalisierung im Qualitätsmanagement (QM) oft zögerlich. Rund ein Drittel der Arbeitszeit von QM-Experten steht durch die Automatisierung wieder für Strategisches zur Verfügung – das berichtet Caroline Schneegold, QM-Expertin der COSMO CONSULT LS GmbH im Interview mit Midrange Mail (MM).

MM: Womit tun sich die Unternehmen beim Qualitätsmanagement Ihrer Erfahrung nach heute am schwersten?
Schneegold: Vielen fällt es schwer, die richtige Balance im Praxiseinsatz zu finden. Es geht darum, die Wage zwischen der Erfüllung zunehmender Regularien, dem Bestreben, alle Zertifikate zu erhalten, und der Umsetzbarkeit zu halten. Qualitätsmanagement muss auch „lebbar“ sein und bleiben. Dazu ist immer ein Change Management notwendig, um die Menschen mitzunehmen, damit QM nicht nur eine lästige Aufgabe ist, sondern der Nutzen transparent wird.

MM: Wie lässt sich diese Akzeptanz bei den Mitarbeitenden am besten erreichen?
Schneegold: Im Qualitätsmanagement sind oft hochqualifizierte, teure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz, die sich mit vielen lästigen Routineaufgaben und Organisation befassen müssen. In der Praxis zieht sich das Einsammeln von Informationen und Lesebestätigungen oft ins Unendliche. Das ist nicht nur frustrierend, sondern auch fehleranfällig. Mit der Digitalisierung des QM lassen sich viele wiederkehrende Aktivitäten automatisieren. So lässt sich etwa festlegen, dass eine Nachfrage ein Fälligkeitsdatum zum Beispiel in fünf Tagen hat, mit einer Erinnerung zwei Tage zuvor. Bleibt die Rückmeldung aus, wird automatisch eskaliert, beispielsweise mit einer Mail an den Vorgesetzten, wenn es sich um ein sicherheitskritisches Thema handelt. Qualitätsbeauftragte spiegeln uns hier regelmäßig zurück, dass sie allein durch diese digitale Unterstützung rund ein Drittel ihrer Arbeitszeit einsparen können.

Quelle: COSMO CONSULT LS GmbH

Caroline Schneegold, Qualitätsmanagement-Expertin der COSMO CONSULT Gruppe.

MM: Was sind typische Pain Points, die zur Einführung einer QM-Software führen?
Schneegold: Weniger Zeit mit Recherchen und Kontrollen zu verbringen ist ein wichtiger Treiber. Beispielsweise setzt der Pharmahersteller Rotop Pharmaka künftig darauf, mit Document Control und Vertragsmanagement die Prozesse durchgängig zu digitalisieren. Ziel ist, die komplexen rechtlichen Vorschriften der Branche, zum Beispiel mit Blick auf Kenntnisnahmen, Schulungsnachweise, den nicht manipulierbaren Audit Trail oder digitale Signaturen abzudecken. Die Software löst dort ein aufwendiges manuelles Verfahren ab, bei dem Dokumente in Papierform unterschrieben, in einzelnen Ordnern verwaltet und mit Microsoft Outlook oder Excel überwacht wurden.

MM: Wie kann digitales Qualitätsmanagement zu Revisionssicherheit und mehr Transparenz beitragen?
Schneegold: Revisionssicheres Arbeiten erfordert effiziente Prozesse, es braucht eine lückenlose Dokumentation, Versionierung, Archivierung und filigranes Management der Zugriffsrechte. Durch digitale Tools kann der nicht manipulierbare Audit Trail im Hintergrund automatisch mitlaufen. Dann sind Freigaben transparent nachvollziehbar, aber auch Aktionen, die auf User zurückzuführen sind – zum Beispiel, wenn eine Information überschrieben oder hinzugefügt wurde. Oft fehlt den Unternehmen die Transparenz über eine Vielzahl von Vorgängen – Incidents – hinweg. Beispielsweise wird eine Wareneingangsprüfung gemacht und eine Kontrolle anhand einer Arbeitsanweisung durchgeführt. Ein digitales System kann hier direkt Alarm schlagen, wenn mehrere Abweichungen zum gleichen Artikel oder Lieferanten innerhalb weniger Wochen auftreten – das schafft Transparenz. Dann können schnell die richtigen Antworten gefunden werden: Ist es ein Prozessfehler? Bekommen wir schlechte Qualität geliefert? Sollte der Lieferant reevaluiert werden?

MM: Warum ist es für Unternehmen oft entscheidend, dass sich QM-Prozesse stark individuell auslegen lassen? Und welche Rolle können Low-Code/No-Code-Ansätze dabei spielen?
Schneegold: Unternehmen wie die Apogepha Arzneimittel GmbH haben uns gesagt, dass die Anpassbarkeit der QM-Lösung ausschlaggebend für ihre Investitionsentscheidung war. Dem Pharmahersteller ist es unter anderem wichtig, dass Anweisungen nicht nur gelesen, sondern vor allem auch verstanden werden. Um das sicherzustellen, ergänzte man den Prozess der gelenkten Qualitätsvorgabedokumente am Ende mit einem Wissenstest. Dafür ein externes Learning-System anzubinden, wäre überdimensioniert gewesen. Über die zugrundeliegende WEBCON-Plattform können Mitarbeitende künftig selbst solche Wissenstests gestalten.

MM: Warum ist es so wichtig, einen besseren Überblick darüber zu haben, dass Mitarbeitende die Arbeits- und Verfahrensanweisungen wirklich verstanden haben? Wie kann die Digitalisierung hier dazu beitragen?
Schneegold: Wissens- und Qualifikationsmanagement ist gerade in stark regulierten Branchen wie Pharma oder Chemie extrem wichtig. Ein gutes Qualitätsmanagement-System bildet die Grundlage dafür. Gerade im Bereich der Schulungen und des Änderungsmanagements von Vorgabedokumenten trägt die Digitalisierung zur Entlastung bei. Mit gelenkten Dokumentenprozessen und Online-Schulungen sind nicht mehr für alles Präsenztreffen notwendig, für die teils hunderte Menschen zusammengetrommelt werden müssten. Kurze Tests stellen sicher, dass Inhalte verstanden wurden. Auch hier greifen automatisierte Erinnerungen und Eskalationsrichtlinien. Das entlastet die QM-Abteilung, die so mehr Zeit für strategische Aufgaben hat.

MM: Welche Rolle spielen Digitale Signaturen heute im Qualitätsmanagement?
Schneegold: Sie sind essentiell, insbesondere beim Thema Freigaben. Es ist jedoch aus Effizienzgründen wichtig, jeweils auf Prozessebene zu schauen, wo und in welcher Tiefe eine Digitale Signatur benötigt wird – zum Beispiel dort, wo früher analog unterschrieben wurde. Es gibt unterschiedlich kritische Freigaben, manchmal reicht ein Login gegen das System, teilweise ist ein Login mit Zweifaktor-Authentifizierung notwendig. In manchen Kontexten ist auch die qualifizierte Signatur durch einen externen Dienstleister wie beispielsweise DocuSign gefragt.

MM: Eine der wichtigsten Grundlagen für ein erfolgreiches digitales QM-System ist ein Berechtigungssystem. Welche Aspekte müssen dafür technologisch erfüllt sein?
Schneegold: Im Vorfeld sollten Unternehmen ein Rollenkonzept definiert haben und darin festschreiben, was ein User sehen und tun darf, global und auf Prozessebene. Die eingesetzte Technologie sollte eine filigrane Rechtevergabe auf den unterschiedlichen Ebenen ermöglichen. Zum Beispiel muss ein User im Bereich Document Control vielleicht nur Leserechte, im Bereich Incident Management jedoch Admin-Rechte erhalten können. Nicht alle Lösungen am Markt machen das möglich. Ganz wichtig ist auch zu dokumentieren, welche Informationen von niemand geändert werden dürfen und wo überschriebene Informationen weiter angezeigt werden – zum Beispiel wenn die Einstufung der Kritikalität verändert wird.

MM: Wie verändern sich aus Ihrer Sicht derzeit die Anforderungen im Qualitätsmanagement?
Schneegold: Wir sehen deutlich, dass der Druck auf die Unternehmen steigt, es gibt in vielen Branchen immer mehr Audits und Zertifizierungsbedarf. Das wird sich mit wachsenden Vorgaben zum Nachhaltigkeits-Reporting zum Beispiel in der Automobilzulieferbranche weiter zuspitzen. Ein Qualitätsmanagement-Tool, das auf besonders hohe regulatorische Vorgaben ausgelegt ist, kann hier helfen: Beispielsweise, indem bei neuen Vorgaben auf bestehende Prozessvorlagen aufgesetzt wird, die implizit etwa mindestens ISO 9001-konform sind, anstatt immer wieder auf der grünen Wiese anzufangen. (rhh)

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